13 kleine Friesenmorde
ihre Söhne zur Rechenschaft zu ziehen sich bereit erklärten, sondern mit Empörung auf die Aktivitätender Polizeibeamten reagierten. Sie sahen sich ausgegrenzt von wohlhabenden Nachbarn, die in den Urlaub fuhren, deren Kinder die Gymnasien besuchten. Sie waren angereist mit hohen Erwartungen, die sich nicht erfüllt hatten.
Eine Handgranate ist mit Sicherheit kein Spielzeug, erst recht gehört eine abfeuerbereite Kalaschnikow nicht in das Jugendzimmer eines 16-jährigen Schülers, der die Schule geschmissen hatte, hin und wieder dealt und Heroin raucht.
In Anbetracht fehlender geschlossener Heime verfügte der Richter die Unterbringung von Andy Mulart und seinen Komplizen in dem mit staatlichen und städtischen Mitteln subventionierten Erziehungsheim »St. Gabriel« in Harburg. Um ihre Resozialisierung bemühten sich dort professionelle Betreuer, die in Übereinkunft mit der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer die jungen Straftäter auf Berufsabschlussprüfungen vorbereiteten.
Die Erfolgsquote fiel, gemessen an den Kosten, dürftig aus. Erst recht für Andy Mulart, der ausbrach, in Ingelheim abgebrannt in seinen Nöten die Hilfe seiner Mama erwartete. Andy rührte nicht das kalte Herz der Mama. Sie fand den Besuch ihres Sohnes mehr als nur störend. Erst recht betrachtete der Diplom-Chemiker Andy als einen unliebsamen Gast.
Ein Dienstmädchen bereitete für Andy das Gästezimmer im Bungalow mit Rheinblick vor.
Am Abend vor dem Kamin – Mama und ihr Mann tranken den heimischen Wein, während der 16-jährige Andy sich mit dem »Ingelheimer Pils« bediente und unentwegt rauchte – berichtete er von Hamburg.
»Stinklangweilig! Nichts los! Sogar der Jugendtreffist dicht, wenn man ihn braucht. Papa faselt nur wirres Zeug. Er schafft es mit dem Rollstuhl zum Supermarkt und zur Pinte«, gab er großkotzig von sich.
Er trug verblichene Jeans, einen navyblauen Pullover mit Achselstücken und Lederbesatz. Andy hatte ein strenges, schmales, gut geschnittenes Gesicht. Er ähnelte seinem Vater und war wie er hoch gewachsen und wirkte athletisch. Sein blondes Haar trug er im Stoppelschnitt.
»Und die Schule?«, fragte die Mama, während ihr Mann ungerührt auf die tanzenden Flammen des Kaminfeuers schaute.
Andy verzog angewidert sein Gesicht. »Scheiße im Quadrat!«, antwortete er, leerte sein Glas und holte aus der Küche bereits die dritte Flasche Bier.
»Machst du eine Ausbildung?«, fragte die Mama.
»Das habe ich bis gestern gemacht. Als Gärtner, Blumen umtopfen, Unkraut jäten! Irre! Ich bin abgehauen. Mir stank die pietätvolle Anstalt des Heiligen Gabriels«, antwortete er und lachte auf.
»Andy, du warst in der Erziehungsanstalt?«, entfuhr es Roswitha. Ihr Mann verzog geringschätzig das Gesicht und hob das Glas. Auch Roswitha nahm einen Schluck. Andy knabberte die ausgelegten Nüsse, hing leger im Sessel und trank Pils.
»Wir hatten ein Ding gedreht. Mir passiert nichts. Wenn sie mich erwischen, dann sitze ich zwei, drei Stunden in der Zelle. Dann kann ich wieder abhauen«, sagte er stolz. Er trank das Glas leer, verließ das Wohnzimmer und holte aus der Küche die vierte Flasche Bier.
»Sie werden nach dir suchen«, sagte die Mama besorgt.
»Na und«, antwortete Andy und nahm einen tüchtigen Schluck zu sich.
»Hier kannst du nicht bleiben«, warf Mamas Mann ein, erhob sich und legte frische Scheite auf die Glut.
Andy grinste verschmitzt. »Ingelheim ist groß. Ein Job in einem Supermarkt und eine Bude fürs Erste. Irgendwo muss ich hin. Nie und nimmer gehe ich zurück zu diesen Gesundbetern in Harburg«, sagte er und blickte seine Mama fragend an.
Roswitha Kaemper, geschiedene Mulart, geborene Poppinga, begriff, dass sich ihr Sohn zu einem Kriminellen entwickelt hatte. Da war so vieles in ihrem Leben schief gelaufen. Sie hatte ihn schon bei der Geburt abgelehnt. Ihr Mann, Uwe Mulart, der gut aussehende junge Fernfahrer, Sohn des Freundes ihres Papas, hatte sie nach einem feucht-fröhlichen Besuch des Norder Stadtfestes in Norddeich am Deich in der Nähe des »Roten Pfahls« geschwängert. Sie hatte den Studenten Hanno Henning geliebt, der sich zu dieser Zeit als Austauschstudent im kalifornischen Monterey aufhielt. Da half keine verspätete Reue. Bedrängt von Mama und Papa, der inzwischen verstorben war, heiratete sie Uwe Mulart und zog mit ihm nach Hamburg.
Sie hatte eine Lehre als Zahnarzthelferin absolviert. Uwe Mulart fuhr für die »Nord-Süd Logistik« einen
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