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13 kleine Friesenmorde

13 kleine Friesenmorde

Titel: 13 kleine Friesenmorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Neuharlingersiel griff am Morgen des 27. Mai 1886 der Wind nach den Wimpeln der Fahnenstangen.
    Im Direktionszimmer, mit zeitgemäßem Luxus ausgestattet, herrschte betretenes Schweigen. Jan Thomasens nahm von seinem ergrauten Prokuristen Folkmar Blumhoff, der sich mehr als fünfundzwanzig Jahre aufden Planken von Seglern aufgehalten hatte, schwer atmend die Zeitung entgegen. Sein Bruder Hugo befand sich in Emden auf der »Cassenschen Werft«, um den auf Kiel gelegten Neubau der »Euridike II« zu inspizieren.
    Eine Angestellte betrat das Büro, machte einen Knicks, stellte das chinesische Teegeschirr auf dem breiten, aus Mahagoniholz gefertigten Schreibtisch ab, rückte es zurecht, stellte die Kanne auf das Porzellanstövchen, blickte in die ernsten Gesichter der hohen Herren und verließ wortlos das Zimmer.
    Folkmar Blumhoff griff zur Zuckerdose. Er blickte Jan Thomasens fragend an, der die Zeitung angewidert zwischen seinen Fingern hielt und nickte. Der Prokurist gab braunen Rohrzucker in die Tassen, schenkte den Tee aus und gab Sahne dazu. Die Pfeifen in ihren Lederetuis blieben unberührt.
    Sie nippten an den Tassen.
    Jan Thomasens schlug die Zeitung auf und fand zum besagten Artikel. Er las laut mit trockener Stimme:
    »Flaschenpost – Ein Kapitän klagt an! Neuharlingersiel, 27. Mai 1886.
    Knut Knutsen, ehrenwerter Logierhausbesitzer aus Keitum auf Sylt, fand am 15. Mai 1886 bei einem Spaziergang in der Frühe des mit gutem Wetter beginnenden Tages in Begleitung seines Hundes eine treibende Flasche, die seine Neugierde weckte. Er war im Begriff, sich ihrer wieder zu entledigen, weil sein Hund danach an ihm hochsprang und danach schnappte. Die Prägung der grünen Flasche trug den Namen ?Jamaika?. Er zog den nicht tief aufgesetzten Korken heraus und stellte fest, dass die Flasche einen Inhalt barg. Es gelang ihm unter Mühen, ohne die Flasche zu zerstören, den besagten Inhalt ans Licht zu befördern. Es waren Mitteilungeneines in Seenot geratenen Kapitäns, die ihn erschütterten.
    Knut Knutsen folgte seiner Bürgerpflicht und erfüllte den letzten Wunsch des wackeren Mannes, der verzweifelt vergeblich nach seiner Rettung und dem Erhalt seines ihm anvertrauten Schiffes Ausschau hielt.
    Das durch Gottes Willen gelenkte oder zufällig aufgefundene Dokument suchte vergeblich ihresgleichen.
    Auf einer Logbuchseite berichtet der Kapitän vom dramatischen Geschehen an Bord seines Schiffes ?Euridike?, das, wie wir berichteten, Opfer des großen Frühjahrssturmes wurde und vor Helgoland in den Fluten versank.
    Dem Leser sei es gestattet, selbst Kenntnis von seiner verzweifelten Nachricht zu nehmen:
     
    »Ich, Kapitän Reemt Renken von Neuharlingersiel, mit einer Ladung von Hüttenerzeugnissen an Bord, muss meine Frau und die Kinder um Gottesschutz bitten, weil ich sie nie mehr wiedersehen werde.
    Ich empfehle den Angehörigen meines braven Steuermannes Eilrich Benninga und des tapferen Matrosen Keno Warfmann den Beistand unseres Gottes.
    Warfmann ging bei dem verheerenden Sturm über Bord. Nie musste ich mit solchen Gewalten kämpfen. Wir hatten dem Sturm getrotzt, waren dem Untergang entronnen, während sich ein weiteres Unwetter näherte.
    Erschöpft nach einer schier nicht enden wollenden Bedrohung im harten, eisigen Wind, ohne Nahrung und Pausen, nach überstandenen Sturzseen mit Schäden am Bug und der Takelage, forderte ich Benninga und demKoch Feeken das Letzte ab. Sie waren geschwächt, taumelten und suchten nach Halt, doch nur das schnelle Setzen des Hauptsegels bot die Chance, davonzukommen.
    Ino Feeken widersetzte sich meinen Befehlen, begab sich eigenwillig zur Kombüse. Meine Anordnungen gingen mit dem Wind. Benninga folgte ihm, um ihn zur Raison zu bringen. Das Unwetter näherte sich. Mit etwas Fortune konnten wir es noch schaffen. Ich war entsetzt, hastete zu meiner Kajüte, um das Logbuch zu führen, als ich Zeuge wurde, wie Feeken, eine Flasche Rum in der Hand haltend, meinen vor ihm flüchtenden Steuermann mit einem Messer niederstach. Ich erreichte meine Kajüte vor dem Amokläufer, konnte die Tür aber nicht mehr verschließen.
    Feeken, vom Teufel besessen, mit irren Gesichtszügen, warf mir die Rumflasche an den Kopf, stach mit dem Messer in meine Brust, rannte davon und kappte die Taue des Rettungsbootes.
    Ich verliere Blut, Nebel tanzen vor meinen Augen. Ich habe keine Hilfe und werde mit meinem Steuermann die ?Euridike? auf den Meeresgrund begleiten.
    Mit Tränen und letzter Lebenskraft

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