13 kleine Friesenmorde
Besatzung kam ums Leben.
Knut Knutsen schritt in Gedanken versunken überden einsamen Strand, während Rollo seine Spielchen trieb. Nach vorausgegangenen stürmischen Tagen bedeckten Platschen mit Seegras und Tang den Strand. Der Wirt des »Preußischen Adler« blickte rein zufällig auf eine Flasche, die in den anrollenden Wellen im Licht der Sonne blinkte.
Knut Knutsen betrat den wässrigen Strandsaum, fischte die Flasche aus dem Rand der schäumend auslaufenden Wellen, hielt sie gegen das Licht und betrachtete sie nachdenklich.
»Jamaika« entzifferte er und fuhr mit den Fingern über die plastischen Buchstaben der etikettlosen Flasche, die aus grünem Glas hergestellt worden war und ihren Inhalt vor seinen Blicken verbarg. Der Hals war mit einem Korken verschlossen, der über den Rand hervorlugte.
Knut Knutsen entfernte den Korken und roch an der Flaschenöffnung. »Rum!«, entfuhr es ihm. Er hielt die Flasche nach unten, schlug mit der Hand auf den Boden. Vergebens. Er wendete die Flasche und lugte durch den Hals.
»Die Flasche enthält Papiere«, stellte er fest.
Er warf einen Blick auf Rollo, der eine tote Möwe beschnupperte.
»Rollo! Lass ab!«, rief er dem Hund zu, steckte den Zeigefinger in den Flaschenhals, bemüht, den Inhalt ans Licht des Tages zu bringen. Nach vielen Bemühungen, mit Windungen seines Zeigefingers, gelang es ihm, der Flasche den Inhalt zu entnehmen. Es waren beschriftete Seiten eines Logbuches, wie er überrascht feststellte. Er steckte die klebrige Flasche in die Tasche seines Gehrocks, vergaß dabei die ihm bevorstehende Schelte seiner Veronika und studierte die mit einem Bleistiftbeschriebenen Seiten, die mit Blutflecken besudelt waren, wie er fröstelnd feststellte.
Rollo näherte sich ihm mit weiten Sätzen, schoss hoch zur Flasche, bellte, als erwarte er, dass er die Flasche von sich warf, um mit dem Herrchen das eingeübte Spiel aufzunehmen.
»Lass! Rollo! Bei Fuß«, befahl Knut Knutsen. Ihm stockte der Atem, als er die hastig zu Papier gebrachten Zeilen las.
Am Montag, dem 24. Mai 1886, schien die Sonne. In der kleinen Küstenstadt Wittmund herrschte an diesem Morgen reges Treiben. Auf dem Platz vor Sankt Peter hatten die Bauern und Händler ihre Stände aufgebaut. Besucher und Besucherinnen füllten den Markt, begutachteten das breite Frühjahrsangebot und tätigten ihre Einkäufe. Über die Straßen zogen kräftige Oldenburger Pferde die schweren Fuhrwerke. Kutscher ließen ihre Peitschen knallen. Das Klirren der Hufe mischte sich in den Lärm, den die Wagen auf dem holprigen Kopfsteinpflaster hinterließen. Passanten suchten die Läden auf.
Vor dem Rathaus stieg der Postbote, er trug die schmucke Uniform mit den langschäftigen Stiefeln, auf den Bock der gelben Kutsche, liftete kurz seine Dienstmütze, ergriff die Zügel des Gespanns, betätigte den Schwengel der Handbremse, lenkte das Gefährt vom Vorplatz des Backsteingebäudes, bog in die Hauptstraße ein und überholte einen Leiterwagen, der sich mit mächtigen Baumstämmen beladen, von vier Pferden gezogen, von Neuharlingersiel auf dem Wege zur Holzhandlung Menno Janzen befand.
Der brave Postbote ahnte nichts von der Verwirrung, die das kleine Paket, das er dem muffeligen, stets unfreundlichen Portier, der sich für was Besseres hielt, im Amt angerichtet hatte. Der Portier Enno Sandner, 55, verärgert über die respektlose Haltung des flegelhaften Postmannes, betrachtete das Paket. Die Anschrift enthielt keinen Hinweis auf ein Ressort. Absender war ein Knut Knutsen, Logierhausbesitzer von Keitum auf Sylt.
Enno Sandner, im Dienst ergraut mit preußischen Beamtenqualitäten, griff zur Schere, rückte dem Paket zu Leibe und staunte nicht schlecht, als er die in Sägespäne gebettete Rumflasche, auf der »Jamaika« stand, in den Händen hielt. Er schüttelte nachdenklich den Kopf, stellte die Flasche auf die Schreibplatte seines Sekretärs, fand beim genauen Hinsehen einen Pappumschlag, öffnete ihn, blickte auf ein mit schwarzer Tinte säuberlich abgefasstes Schreiben und las:
Keitum, den 15. Mai 1886
Hiermit möchte ich zur Kenntnis bringen, dass ich, Knut Knutsen, Inhaber und Eigentümer des Logierhauses »Preußischer Adler« in Keitum, welches die Gunst vieler Honoratioren zu schätzen weiß, dato bei einem Spaziergang, wie so oftens mit meinem Hund Rollo, am Strand auf das beigefügte Objekt stieß. Es gibt meinerseits keine Beziehungen weder zu dem Schiff »Euridike« noch zu den betroffenen
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