13 kleine Friesenmorde
ergraut und gestutzt. Sein grauer Schnauzbart mit hochgezwirbelten Enden zierte das ausgemergelte Altengesicht. Sein Körper war mager und knochig. Solche wie er verließen in Strömen Ostfriesland und füllten die Auswandererschiffe in Bremerhaven.
Er blickte überrascht auf, als er den Beamten sah.
»Besuch?«, fragte er misstrauisch.
»Koester aus Emden. Ich habe einige Fragen an Sie und Ihre Gattin zu richten. Sie kühlt die Milch und wird gleich zurück sein.«
Der Alte nickte und blickte den Besucher misstrauisch an.
»Sie kommen wegen der Straße, die hinter unserem Stall an den Weiden vorbeigehen soll?«, fragte er.
Alwin Koester winkte ab.
Arnolde Feeken trat zu ihnen.
»Setzen wir uns«, sagte sie.
Sie nahmen auf der Holzbank Platz.
»Und nun heraus mit der Sprache. Wir haben Sie nicht zu uns gebeten«, sagte die Alte mit forscher Stimme.
Sie saßen im Schatten einer hoch gewachsenen Ulme.
»Ich bin Polizeibeamter«, sagte der Kommissar und ließ seinen Zylinder in seiner Hand rollen. »Mein Besuch betrifft Ihren Sohn Ino, der den Untergang der ?Euridike? überlebte. Auf ihn fällt der schreckliche Verdacht, seinen Kapitän Reent Renken schwer verletzt und seinen Steuermann Eilrich Benninga erstochen zu haben.«
Die Alten erschraken, schwiegen für Sekunden.
»Wir wehren uns gegen die Vorwürfe«, sagte Arnolde Feeken mit fester Stimme. »Nie und nimmer hätte sich Ino zu solchen Taten hinreißen lassen. Wir haben ihn christlich erzogen. Was die Zeitung ihm zur Last legt, passt nicht zu dem, was wir von unserem Sohn gewohnt sind.«
»Wir erfuhren es von Nachbarn. Sie reden viel«, sagte der Alte mit müdem Gesicht.
»Es geht mir nicht um den Tratsch«, erwiderte Alwin Koester. »Als Vertreter der Obrigkeit obliegt mir die Aufgabe, Licht in das dunkle, mörderische Geschehen an Bord des Schiffes zu bringen. Die Leiche Ihres Sohnes wurde bis dato nicht angelandet. Das Rettungsbootder ?Euridike?, in dem er nach dem Verbrechen an seinem Kapitän und dem Steuermann, zugegebenermaßen in Panik, geistig verwirrt und vom Rum benebelt, sein Heil suchte, trieb auf offener See und wurde vom Kapitän und der Mannschaft der ?Anna-Johanna? gesichtet. Irgendwo tauchte Ihr Sohn Ino unter und ließ sich reaktivieren. Mein Besuch gilt der Frage, hat der Seemann und Koch Ino Feeken hier bei Ihnen Unterschlupf gefunden? Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass falsche Aussagen von den Justitiaren hart bestraft werden.«
Die Alte legte ihre faltigen Hände zusammen.
»Ino ertrank. Wir haben für ihn in der Kirche von Osteel gebetet«, antwortete sie leidend, nahm das Kopftuch vom grauen Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug.
»Ino hinterließ kein Grab«, warf der Alte verbittert ein, griff zum Schnauzbart und zwirbelte die Spitzen mit bitterer Mine.
»Sie haben noch zwei Söhne«, sagte der Kommissar misstrauisch.
Der Alte nickte, holte aus seiner abgetragenen Stoffhose ein breites rot kariertes Taschentuch hervor, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und schnäuzte danach in das Tuch seine Nase frei.
»Sie fahren beide zur See. Da gab es keine heimlichen Besuche und Bruderliebe hier in Upgant-Schott. Berend fährt auf der Viermastbark ?Isolde?, Heimathafen Emden. Er befindet sich auf der Reise nach Lagos, weiß der Teufel, wo das ist. Und Hinni, unser Jüngster, schrieb uns aus Antigua«, sagte der Alte stolz mit finsterem Blick.
»Und Freunde hier im Dorf?«, fragte der Kommissar.
DieAlte lachte auf. »Schauen Sie sich um. KeineArbeit! Das Rackern auf den Äckern ernährt uns Alte. Weg sind sie, nach Hamburg, Bremen und Berlin zu den Fabriken. Ihnen steht der Kopf nach Musik, Amüsement und Tanzsälen. Gott verzeihe ihnen ihr lüsternes Treiben. Ino, Berend und Hinni folgten der Tradition meines Vaters, der mit zweiundsechzig Jahren in Rio Grande bei einem Sturm von der ?Freia? gefegt wurde.« Sie weinte. »Elektrisches Licht! Straßenlampen. In Upgant-Schott steht die Welt still. Seine Majestät hat uns vergessen.«
»Bitte, mäßigen Sie sich! Ich mache es Ihnen zur Pflicht, uns mitzuteilen, falls Sie ein Lebenszeichen Ihres Sohnes erreicht. Das Kutschengeld übernimmt das Amt«, sagte Alwin Koester, setzte seinen Zylinder auf das gescheitelte Haar, verbeugte sich kurz, verließ die eingeschüchterten Bauersleute und ging zur wartenden Kutsche.
Im zuständigen Amtsgericht vermerkte der Beamte, was häufig, zu häufig vorkam, hinter dem Namen Ino Feeken die Eintragung »auf See
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