13 kleine Friesenmorde
unter seinen Fingernägeln. Es gibt auch für Tiere so etwas wie einen genetischen Fingerabdruck.«
Sie verließ das Büro, betrat die Terrasse, zahlte bei der Kellnerin und suchte aufgeregt das Hotel auf.
Vom Zimmer aus rief sie die Staatsanwaltschaft in Aurich an, sprach auf das Band des eingeschalteten Anrufbeantworters ihren Kurzbericht, betrat das Bad, nahm ihren Nagelreiniger, führte ihn unter den Nagel des kleinen Fingers, zog ihn über einen Wattebausch und steckte ihn samt Tempotuch in ihre Tasche.
Dann zog sie sich um, suchte die Rezeption auf, batdie freundliche Angestellte, ihre Handtasche im Safe zu deponieren, betrat das gemütliche Restaurant des Hotels, bestellte Rheinischen Sauerbraten mit Rotkohl und trank dazu das süffige Altbier.
Troubadour, der liebe Kerl der Familie Fränzel, war die Bestie. Ein Mitglied des Kegelclubs »Alle Neune« aus Dormagen hatte Alwine zufällig beobachtet, als sie einen forschen, hoch gewachsenen, älteren Mann im Korridor des Hochhauses auf Norderney heiß und innig geküsst hatte. Er hatte seinem Kumpel einen Wink gegeben.
Die Staatsanwaltschaft schlug zu. Der erfolgreiche Konditormeister, Pferdezüchter und Clubpräsident befindet sich in Untersuchungshaft.
Alwine Fränzel führt das Café und ist bemüht, einen Käufer in den Reihen der expandierenden Hotelketten für den angesehenen Betrieb zu finden.
Das Vermächtnis des Käptn van Loo
H erbst 1992
Am Sonntag, dem 25. September, zog eine Tiefwetterfront über die Norddeutsche Küste. Der Sturm erreichte in Böen die Windstärke 10 bis 11 und peitschte
den Regen durch die Straßen von Wilhelmshaven.
Im Altenheim »Heppens« begaben sich die Heimbewohner bereits kurz nach dem Frühstück durch die eleganten, geschmackvollen Korridore, die gerahmte Bilder mit Motiven der See- und Hafenstadt zierten, zu den Sitzgruppen mit den Sesseln und den langen Tischen.
Das mistige Wetter hielt die Alten vom gewohnten Spaziergang in die gepflegte Parkanlage mit den Herbstblumen und den Bäumen, die bereits buntes Laub trugen, ab. Sie waren zumeist ältere, rüstige Damen bürgerlicher Herkunft, die es gerne sahen, wenn sich die wenigen im Heim wohnenden Senioren zu ihnen gesellten, während sie von »alten Zeiten« sprachen, in Erinnerungen schwelgten, oder, auch das gehörte zu ihrem Plausch, ihren politischen Unmut in harter Kritik an dem, was heute war, übten.
Das Heim war nicht billig, bot aber eine Menge Annehmlichkeiten wie Lesesaal, Leihbibliothek, Wäsche- und Zimmerservice und eine perfekte medizinische Betreuung und Versorgung. Das Essen war hervorragend. Hin und wieder gab es »Dichterlesungen«, sorgten Chöre für Unterbrechungen des Alltagstrotts, was besonders die Gehbehinderten begrüßten.
An diesem Morgen blickte die 78-jährige Studiendirektorin Mimke Goselar auf den verwaisten Sessel vis-a-vis, den, das war zur Gewohnheit geworden, der alte Kapitän Edo van Loo einnahm. Der geistreiche Seefahrer, Alt-Wilhelmshavener und charmanter Erzähler, trug wesentlich zur Unterhaltung bei. Er brachte sie alle mit seinen witzigen Beiträgen oft zum Lachen und verstand es hervorragend, mit seinen humorvollen Lästereien dem Leben im Heim die Spitzen zu nehmen.
Zugegebenermaßen hatte sich Mimke Goselar nie für Männer interessiert, erst recht nicht für ihre Kollegen am Humboldt-Gymnasium, als sie jung, gut gewachsen und hübsch ihre sexuellen Fantasien erregt hatte.
Wegen der damaligen »Prüderie« hatte sie sich auch im Umgang mit schönen Geschlechtsgenossinnen schwer getan, erst recht, wenn sie ihrer Oberprima angehört hatten.
Umso erstaunlicher hatte sie auf ihre Gefühle reagiert, wenn Edo van Loo, der gestandene Mann mit seinem schlohweißen vollen Haar, dem buschigen grauen Schnauzbart, den eingekerbten Gesichtszügen, die vielen Stürmen getrotzt hatten, und seinen blass-blauen Augen, hoch aufgerichtet im Troyer und in Jeans, die Runde mit seiner Anwesenheit bereichert hatte.
Edo van Loo hatte 1925 die Kapitänsprüfung an der Seefahrtsschule in Leer bestanden und das Patent für »Große Fahrt« erhalten. 1926 fuhr er als II. Offizier auf der »Teutonia«, avancierte 1928 zum I. Offizier auf dem Hapag-Lloyd-Dampfer »Loreley«, der im Ostindienverkehr seinen Einsatz fand. 1930 übernahm er als Kapitän die »Burchana«, ebenfalls ein Hapag-Lloyd-Schiff. Im selben Jahr heiratete er seine Jugendgeliebte Elske de la Motte, die bereits 1976 verstarb. Edo van Loohatte zwei Töchter und einen
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