13 kleine Friesenmorde
Oberkörper im Laufe der Jahre zu weit geworden war, wie er vor dem Spiegel festgestellt hatte.
Edo van Loo war in den navyblauen Trenchcoat geschlüpft, hatte seine Prinz-Heinrich-Mütze auf seinschlohweißes Haar gesetzt, wie Mimke Goselar später den Angehörigen zu berichten wusste.
»Mimke, den Gang mache ich alleine. Ich habe prächtige Kinder und Enkelkinder mit intakten Familien. Sie zeigen mir ihre Dankbarkeit und Anerkennung, auch wenn sie mir nicht gerade das Steuerhaus einrennen. Ich musste sie oft allein lassen, wenn ich auf See war. Erst recht im Krieg«, hatte er gesagt.
Das war am 19. September gewesen, eine knappe Woche vor seinem Tod. Am Morgen nach dem Frühstück verließ Edo van Loo mit seiner unmodernen, flachen Ledertasche das Altenheim. Die aufgehende Sonne kündigte einen schönen, milden Herbsttag an. Er suchte hoch aufgerichtet ohne körperliche Beschwerden die Kanzlei des Rechtsanwaltes und Notars Peter Jacoby in der Gökerstraße auf, mit dessen Vater ihn weit zurückliegende Segeltörns nach Helgoland verbanden. Der Weg zum Notar schien ihm angebracht. Es galt, klar Schiff zu machen. Der Sensenmann hatte sich in einem Traum recht friedlich gezeigt und ihm seinen bevorstehenden Tod angekündigt. Das war kein Thema für die Gespräche am »langen Tisch« gewesen, erst recht wollte er Mimke nicht erschrecken.
Edo van Loo hinterließ keine Reichtümer, dennoch eine respektable Summe in Form von Aktien jeder Schattierung, um die er sich seit vielen Jahren nicht mehr gekümmert hatte. Dazu zählten auch Anteilscheine an der Reederei, auf deren Schiffen er mehr als zwanzig Jahre in Verantwortung die Meere durchpflügt hatte, zuletzt auf dem Autotransporter »World-Car«.
Sein Sohn Jesko, geboren 1930, fuhr als Kapitän auf dem Polizeikreuzer »Schleswig«. Er wohnte in Kiel. Sein Enkel arbeitete auf der Werft als Bootsbauer. TochterNanna war 1935 zur Welt gekommen. Sie war mit einem Arzt verheiratet, der in Neuss eine gut gehende Praxis besaß. Deren Tochter und Sohn studierten. Tochter Wilma hatte 1937 in Heidmühle/Jever das Licht der Welt erblickt. Sie war in Bielefeld mit einem Studiendirektor verheiratet. Sie hatten zwei Söhne, die ebenfalls studierten.
Zufrieden mit dem, was aus allen geworden war, um die er sich gesorgt hatte, lag es in seiner Absicht, das Erbe seinen Enkelkindern in gleichen Teilen zu hinterlassen, falls, und davon ging er aus, die Töchter und der Sohn von ihrem Pflichterbe absahen. Eine weitere Bedingung, die er von Jacoby testamentarisch aufnehmen ließ, war, dass seine Kinder dafür Sorge trugen, sich von ihm mit einer Seebestattung zu verabschieden. In Anbetracht des engen Jadebusens entschied er sich für die Gewässer vor Norderney und traf entsprechende finanzielle Vorsorge.
Sein nächster Besuch galt dem Friedhofsamt. Seine geliebte, treue Frau Elske ruhte seit 16 Jahren im von ihm gepflegten Grab auf dem Friedhof »Aldenburg«. Er gab das Grab frei, ließ sich von der freundlichen Angestellten ein Taxi bestellen, verließ das Rathaus und stieg kurz danach in das Taxi. Sein Ziel war die Friedhofsgärtnerei Schluppenkotten.
Edo van Loo verließ das Taxi, das mit eingeschaltetem Leerlauf auf ihn wartete, kaufte einen großen Strauß Herbstastern und stieg wieder zu dem Taxifahrer in den Wagen. Sie fuhren zum nur 200 Meter entfernten Parkplatz des Friedhofs. Er stieg aus.
»Bitte, warten Sie hier auf mich«, sagte er zu dem Fahrer.
Er betrat durch die geöffnete Eisengittertür der Pforteden Friedhof, ging an den hoch gewachsenen Trauerweiden vorbei zu den Grabanlagen. Ein vertrauter Weg, den er tausendfach zurückgelegt hatte. Er passierte den Ehrenfriedhof, schritt über den breiten roten Ascheweg mit dem Blick auf Thuja-Hecken und Lebensbäume, an gepflegten Grabparzellen vorbei und fand zum Grab. Er legte den Strauß ab, schaute mit Tränen in den Augen auf den Grabstein, der mit seiner Inschrift an Elske van Loo, geborene de la Motte erinnerte. Er fand zu Jahren zurück, in denen sie glücklich gewesen waren, und ließ Ereignisse vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Der erste Kuss. Verlobung, Hochzeit, die Geburt der Kinder. Die harten Kriegsjahre.
»Hier will ich nicht ruhen! Liebe Elske, uns verband so vieles. Auch du befindest dich nicht hier unter der braunen mit Erika und Rosenranken bewachsenen Erde. Mein Vater Galt van Loo, meine Brüder Friedrich und Georg wurden Opfer des ?blanken Hans’?, mich zieht es zu ihnen!«, sprach er laut
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