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13 kleine Friesenmorde

13 kleine Friesenmorde

Titel: 13 kleine Friesenmorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Sohn, die alle außerhalb von Wilhelmshaven wohnten. Er bekam nur selten Besuch.
    Der charmante, weltgereiste Greis hatte ihre Zuneigung, die fernab jeder sexuellen Begierde lag, erwidert, sinnierte Mimke Goselar, während der Wind um das Heim heulte. Bei gemeinsamen Spaziergängen in die Stadt, Café-Besuchen mit Rumflockentorte, die er gerne aß, hatten sie sich viel zu erzählen, erst recht, wenn sie vor der »Dritten Einfahrt« ihren Spaziergang zur Kaiser-Wilhelm-Brücke fortsetzten. Sie fanden zurück in die Jahre, als Wilhelmshaven ganz anders war.
    Gelegentlich setzten sie im Apartment des Kapitäns die Gespräche bei einem Tee fort und wurden vertraut miteinander.
    Das hatte dazu geführt, dass Mimke Goselar Edo van Loo in fast regelmäßigen Abständen an vereinbarten Nachmittagen oder abends, wenn in den Apartments der übrigen Heimbewohner der Fernseher lief, besuchte. Sie gaben sich bedacht wegen der Eifersüchteleien der übrigen Damen, die sich gerne in der Nähe des rüstigen Seefahrers aufhielten.
    Dabei verstand es van Loo nicht nur, spannend aus seinem Leben zu erzählen, sondern er hörte auch gerne zu, wenn Mimke Goselar von ihrer Kindheit berichtete. Sie war 1914 in Oliwa bei Danzig geboren, hatte dort das »Marien-Gymnasium« besucht und in Danzig studiert. Dann kam der »Treck« in den Westen.
    Edo van Loo hatte im Frühjahr 1903 in Horumersiel das Licht der Welt erblickt. Sein Vater war wie er Kapitän gewesen. Er hatte auf einem Windjammer die Weltmeere befahren und war 1902 während eines Sturmes in der Ostsee, noch bevor sein Sohn Edo geborenwurde, ertrunken. Seine Mama hatte nach dem Tode des Papas die Gaststätte »Kumm wieder« in Horumersiel recht und schlecht geführt. Seine Großeltern hatten sich um seine Erziehung bemüht.
    Seine Mama hatte 1910 einen Marineoffizier geheiratet, der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Seine Halbbrüder Friedrich und Georg, beide hatten sich freiwillig zur Marine gemeldet, waren nicht zurückgekommen. Friedrich gehörte zur Mannschaft eines versenkten U-Bootes, und Georg erwischte es bei einem Tieffliegerangriff an Bord eines Minensuchschiffes vor der bretonischen Küste.
    Edo hatte als Fregattenkapitän den Krieg überlebt. Wie durch ein Wunder, und nun kannten sich sie bereits mehr als 13 Jahre, erinnerte sich Mimke Goselar. Sie saß zurückgelehnt im Sessel. Sie schrieb ihre Müdigkeit den Tabletten zu, die ihr der Arzt zur Stabilisation ihres Kreislaufes verordnet hatte.
    Sie fand zurück zum Hier und Jetzt, als Alma Sandomir, die 72-jährige Schauspielerin vom Stadttheater, die vielen Wilhelmshavenern unvergesslich blieb, ihren Arm berührte und »Wo bleibt Edo?«, fragte. Es war bereits 11.30 Uhr. In einer Stunde gab es das Mittagessen im Speisesaal. Der Sturm wütete unentwegt. Die Fenster waren blind vom triefenden Regen.
    Die Damen schwiegen und blickten Mimke Goselar fragend an.
    »Besuch«, sagte sie ein wenig gereizt. Schließlich erhob sie sich und sagte entschlossen: »Ich schaue nach.«
    »Die hat es nötig«, warf die 74-jährige Trude Ellers, die Witwe eines Zahnarztes, giftig ein.
    »Mann kann nie wissen«, meinte Hanna Finken, ehemaligeEigentümerin des »Preußischen Hofes«, auf dessen Gelände sich jetzt der »Aldi« befand. Sie war mit ihren 86 Jahren die älteste der Damen. Bewegte unentwegt ihre Fingerkuppen aufeinander, während das vom Schlaganfall gelähmte rechte Auge tropfte.
    Mimke Goselar eilte besorgt durch den langen Flur zum Apartment 13, klopfte an die Tür, öffnete sie, schob sie auf und fuhr erschrocken zusammen.
    Kapitän van Loo, ihr Freund, saß im Sessel. Er trug seinen Troyer, seine Jeans, auf seinen Knien lag die Sonntagszeitung. Er schien zu schlafen.
    »Edo!«, rief Mimke.
    Der Alte rührte sich nicht.
    Sie trat näher an den Sessel, blickte in das blasse Gesicht und schrie auf. Sie drückte die Nottaste, die sich unterhalb des Lichtschalters befand.
    Edo van Loo war friedlich eingeschlafen nach einem erfüllten Leben.
     
    Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte Edo van Loo seine graue Flanellhose angezogen, sich für ein weißes Oberhemd entschieden, die Krawatte mit dem Emblem der Reederei umgebunden, den dunkelblauen V-Ausschnittpullover übergezogen, die Füße in die schwarzen Sonntagschuhe gesteckt, den marineblauen Blazer mit der Kleiderbürste bearbeitet, die goldierten Ankerknöpfe zum Blinken gebracht und den Blazer mit sentimentalen Erinnerungen übergezogen, der für seinen abgemagerten

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