13 kleine Friesenmorde
Pappeln, durch die der Wind fuhr, grenzten eine Terrasse ein. Rote Wachstücher bedeckten die Tische. Die Stühle trugen grüne Polsterkissen. Die Gäste stachen mit eleganter Kleidung vom Massenpublikum der Innenstadt ab. Wibke nahm an einem freien Tisch Platz, der ihr die Sicht auf blühende Rhododendren und auf die Tür des Kuchentresens ließ.
Eine hübsche Serviererin trat an ihren Tisch. »Bitte schön?«, fragte sie freundlich.
»Ein Kännchen Kaffee und ein Stück Torte«, sagte Wibke.
»Erdbeertorte?«, fragte die junge Frau.
Wibke nickte.
»Mit Sahne?«, fragte die Bedienung.
»Mit Sahne«, antwortete Wibke, öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr ein Kärtchen. »Befindet sich Frau Fränzel im Hause?«
Das Fräulein nickte.
»Überreichen Sie ihr das Kärtchen«, sagte Wibke.
Vögel zwitscherten, ein Springbrunnen plätscherte.
Die Kellnerin trat an ihren Tisch, stellte den Kuchenteller ab und servierte ihr den Kaffee.
»Die Chefin kommt gleich«, sagte sie freundlich.
Wibke verzehrte mit Heißhunger den Kuchen. Der heiße Kaffee tat ihr gut.
Sie bemerkte die attraktive blonde Frau, die sich ihrem Tisch näherte. Sie trug eng anliegende Lederjeans, eine weiße Bluse und eine ärmellose Lederweste. Sie hatte ein schmales, hübsches Gesicht. Sie mochte um die vierzig sein. In der Hand hielt sie ein Tablett.
Das ist Dusie, schoss es Wibke durch den Kopf.
Alwine Fränzel blickte Wibke Meesters fragend an, entnahm dem Tablett das Kärtchen und hielt es in der Hand. Ringe, Reifen und Kettchen blinkten für Sekunden im Licht der Sonne.
»Sie kommen von Norderney, Frau Meesters? Ihr Kärtchen enthält keine Berufsangabe«, sagte sie misstrauisch.
»Setzen Sie sich bitte für einige Minuten zu mir an den Tisch«, bat Wibke höflich.
»Mir bleibt wenig Zeit. Das schöne Wetter«, sagte Alwine Fränzel und nahm auf einem Stuhl am Tisch Platz.
Wibke entnahm ihrer Handtasche den Dienstausweis.»Kripo Norderney. Ich recherchiere im Mordfall Offermann«, sagte sie.
Alwine Fränzel erschrak. Sie blickte die Kommissarin fassungslos an.
»Willi Offermann? Kapitänleutnant . . . ?«, fragte sie.
»Ja, wohnhaft in Oldenburg, verheiratet mit der Apothekerin Petra Offermann«, antwortete die Kommissarin.
Alwine Fränzel starrte für Sekunden in die rauschenden Pappeln, blickte danach die Kommissarin irritiert an.
»Ermordet?«, fragte sie und kämpfte mit den Tränen.
Wibke nickte. »Lesen Sie keine Zeitung? Selbst BILD hat darüber berichtet«, sagte die Kommissarin.
»Wir bekommen die WAZ. Für Dormagen ist Norderney weit weg«, antwortete sie.
»Für Sie weniger. Sie verbrachten auf der Insel im Apartment des Lehrers Jander Ihren Urlaub und wurden mehr als häufig an der Seite des Opfers gesehen«, sagte Kommissarin Meesters kalt.
Alwine Fränzel schluchzte. »Herr Offermann war für viele Jahre mein Vorgesetzter«, sagte sie mit dünner Stimme.
»Sie hatten es sich zur Gewohnheit werden lassen, ihn im Mai auf Norderney zu treffen. Seine Frau weiß nichts von der Liaison«, sagte Wibke.
Alwine Fränzel erhob sich und griff zum Arm der Kommissarin. »Es ist schrecklich! Begleiten Sie mich in unser Büro«, flüsterte sie gefasst, blickte freundlich in die Gesichter der Gäste und führte Wibke Meesters am Kuchentresen vorbei in das Büro.
Das große Fenster lag zur verkehrsreichen Horremer Straße. Die Wände bedeckten Aktenregale. Mitten imBüro standen zwei zusammengerückte Schreibtische mit PCs. An der gegenüberliegenden Wand stand eine Eichenbank unter dem mit Glas gerahmten Meisterbrief des Konditormeisters Jupp Fränzel. Auf der Bank lagen Kissen mit dem Emblem des Fußballvereins »Bayer Dormagen«. Neben der Bank lag ein marokkanisches Sitzkissen mit einer schottisch gemusterten Wolldecke.
»Nehmen Sie bitte Platz«, bat Frau Fränzel und setzte sich an den Schreibtisch, stützte ihre Ellbogen auf und blickte die Kommissarin leidend an. »Wie war das mit Willi?«
»Nach Zeugenaussagen fuhr Herr Offermann mit dem Bus zum Leuchtturm, suchte den Ostheller auf und trat dort einen weiten Spaziergang zur Inselspitze an. Er führte seine Kamera mit sich . . . «
»Bitte, sagen Sie es mir . . . «, unterbrach Alwine Fränzel Wibkes Redefluss.
»In den Rattendünen fiel ihn ein Kampfhund an«, sagte Wibke Meesters. »Die Bestie biss Herrn Offermann die Kehle durch. Er hat geistesgegenwärtig das Untier fotografiert. Wir fanden die Kamera. Wir haben ein Foto an die Zeitungen gegeben und
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