13 kleine Friesenmorde
keinen Grabstein, vor dem wir heute an seinem neunzigsten Todestag mit einem Strauß Herbstastern seiner gedenken können«, sagte Nanna Schöllhorn.
»La Paloma, Seemann gib Acht, denn schnell geht ein Schiff zu Grunde – ein Ohrwurm«, warf Jesko van Loo ein. »Ich bin der dritte Kapitän in der Familientradition. Steuere meinen Polizeikreuzer mit Radar und Wetterfunk rund um die Uhr, krankenversichert mit Festgehalt.«
»Frau Goselar, uns liegt an der Dokumentation in Ihrer Beilage ?Wir erinnern uns . . . ?«, sagte Petra van Loo. »Wir haben Kinder. Mein Sohn arbeitet als Bootsbauer auf der Werft in Kiel und der Sohn meiner Schwägerin studiert Meereskunde an der Uni Hamburg.«
»Vielleicht ein Kapitän in der vierten Generation?«, sagte die Alte.
»Wer weiß«, meinte Wilma Roggendorf.
»Ich werde Ihnen die Unterlagen aushändigen, wenn ich meinen Bericht geschrieben habe«, fügte sie hinzu.
»All up Stee«, antwortete Jesko van Loo.
»Sie haben es eilig, nach Norddeich zu kommen?«, fragte Mimke Goselar spöttisch.
»Verzeihen Sie, es war ein anstrengender Tag«, sagte Wilma Roggendorf. »Die Seebestattung, die Aufgabe von Papas Apartment, und wie wir bei Ihnen in Erfahrung brachten, das alles am neunzigsten Todestag unseres Großvaters, da steht uns der Sinn nach einer Rückbesinnung im familiären Kreis im Hotel in Norddeich. Wir verdanken Ihnen nicht nur die Einsicht in die historischenUnterlagen, sondern auch deren Erhalt für unsere Kinder. Der dramatische Tod unseres Großvaters bewegt uns zutiefst.«
»Ich werde Edos Vermächtnis ernst nehmen«, antwortete Frau Goselar und erhob sich.
Wilma drückte sie liebevoll an sich.
Petra van Loo reichte der Alten die Hand.
»Haben Sie Dank für die freundliche Bewirtung«, sagte sie.
Auch Hanna Schöllhorn drückte die Alte an sich. »Ich wünsche Ihnen alles Gute. Verzeihen Sie unsere Störrigkeit«, sagte sie.
Auch Dr. Schöllhorn und Studiendirektor Roggendorf fanden beim Abschied lobende und liebevolle Worte.
Jesko van Loo folgte dem Beispiel seiner Schwestern, beugte sich hinab und drückte die kleine Alte an sich. »Ein Dankeschön, Frau Goselar, für alles. Sie haben sehr zu Papas Wohlergehen im Heim beigetragen«, sagte er gerührt. »Ich werde Sie anrufen und die Unterlagen bei Ihnen abholen.«
Die Alte blickte ihn traurig an. »Herr van Loo, ich habe noch eine Bitte«, trug sie vor.
»Und die wäre?«, fragte van Loo.
»Überlassen Sie mir den Sessel, in dem Ihr Vater eingeschlafen ist«, sagte sie mit Tränen in den Augen.
»Sehr gerne, ich werde der Heimleiterin die entsprechenden Anweisungen erteilen«, antwortete van Loo.
»Danke«, sagte sie.
»Ach, Frau Goselar, was ich noch sagen wollte, im kleinen Ledermäppchen befand sich ein größerer Schatz als die erwartete Karte einer Südsee-Insel mit einer vergrabenen Truhe, angefüllt mit Goldtalern«, scherzte Theodor Roggenkamp.
Die Alte lachte befreit auf. »Sie können es nicht lassen«, erwiderte sie und strich mit der knochigen Hand über ihr graues Haar. In ihrem Gesicht lag ein friedlicher Glanz, der ihre frühere Schönheit erahnen ließ.
»Lehrer sind so«, warf Dr. Schöllhorn ein.
Die Angehörigen ihres verstorbenen Freundes betraten den Korridor. Mimke Goselar winkte hinter ihnen her, als sie davongingen. Sie verließen das Heim und suchten den Parkplatz auf.
Über Wilhelmshaven lag die Dunkelheit. Am Himmel blinkten Sterne. Sie stiegen in ihre Autos und fuhren tief bewegt nach Norddeich.
Nachtrag:
Carsten van Loo, geboren am 29.01.1974, einziger Sohn von Petra und Jesko van Loo aus Kiel, bestand am 25.09.2002 an der Fachhochschule für Seefahrt in Leer das Examen mit guten Noten und erwarb das Kapitänspatent für »Große Fahrt« an dem Tag, an dem vor zehn Jahren sein Großvater Edo van Loo im Altenheim in Wilhelmshaven verstorben war.
Er bewarb sich erfolgreich bei der »South-African-Container-Line«, kurz »SACL« genannt, und setzte die Tradition seines Großvaters und Vaters fort.
Der Wildgansmord
N a los, junger Mann, worauf warten Sie noch?«, rief die Alte, als Fredo Wattnor mit dem Fahrradanhänger vor ihr hielt. In städtischer Eleganz stand sie
hinter einem Berg aus Koffern. Sie hatte sich entschlossen, die kleine Pension, in die sie jeden Sommer einkehrte, vorzeitig zu verlassen, da der dritte
Tiefausläufer exakt dem zweiten gefolgt war.
Fredo Wattnor stapelte die Koffer auf den Karren, und als er schließlich die Handtasche zum
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