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13 kleine Friesenmorde

13 kleine Friesenmorde

Titel: 13 kleine Friesenmorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Abschluss auf die Pyramide setzte, griff die Alte energisch zu.
    »Das lassen Sie mal, junger Mann, die Tasche ist bei mir sicherer«, sagte sie und schritt entschlossen drauflos.
    Fredo Wattnor schob den Karren über den asphaltierten Fahrradweg dem Bahngleis entgegen. Vom Meer stieg der Wind über den verregneten Deich.
    Fredo spürte die nasse Kälte im Gesicht. Langes blondes Haar hing ihm in Strähnen vom eckigen Schädel. Sein starres linkes Auge war geradeaus gerichtet, und sein breitlippiger Mund stand offen.
    Die Alte bestimmte mit forschen Schritten das Tempo. Als sie die Mole, die wie ein riesiger Zeigefinger in das Meer hinausragte, erreichten, stand der D-Zug bereits auf den Schienen. Die Alte wurde unruhig. Doch schließlich hatte sie den Wagen mit dem vorbestellten Abteil im langen Zug entdeckt und hastete davon.
    Fredo Wattnor gelang es nur mit Mühe, den Fahrradanhängerüber die holprige Straße zu schieben, ohne die Stabilität des Koffergebildes zu gefährden.
    »Wo bleiben Sie, junger Mann? Na, machen Sie schon!«, rief sie aus dem geöffneten Zugfenster.
    Der Junge schleppte schwitzend die Gepäckstücke in das Abteil und verstaute sie in die Ablagenischen. Dann stand er wartend vor der Alten und stierte auf ihre gepflegten Hände. Ihre Finger waren beringt, und aus dem Mantelärmel quollen blinkende Schmuckreifen. Sie öffnete die Handtasche, und Fredo Wattnor streckte seine geöffnete breite Hand vor.
    Angewidert schaute die Alte in das entstellte, stumpfe Gesicht des jungen Mannes, als sie ein besticktes Seidentüchlein herausnahm und sich unsichtbaren Schweiß vom gepflegten Teint abtupfte.
    »Was wollen Sie noch, junger Mann? Verschwinden Sie!«, sagte sie mit befehlsgewohnter Stimme.
    Fredo Wattnor senkte enttäuscht den Blick auf den Boden. Abneigung, Wut und Empörung hemmten seine Schritte. An der Abteiltür drehte er sich um, spuckte auf den Boden und formulierte leise mit seinen wulstigen Lippen: »Alte Kuh!« Er knallte die Tür hinter sich zu, verließ Zug und Bahnsteig und schob seinen leeren Fahrradanhänger in Richtung Pension. Neue Aufträge warteten auf ihn an diesem Tag, der für ihn so mies begonnen hatte.
    Gegen Abend ordnete er die Getränkekisten im kleinen Anbau und rauchte mit dem Blick auf die Uhr eine Zigarette, als seine Chefin erschien. Sie baute sich mit finsterem Gesicht vor ihm auf.
    Fredo Wattnor blickte die Chefin an. Seine normale Dienstzeit war bereits 45 Minuten überschritten. »Herr Wattnor, hier sind Ihre Papiere! Sie vertreiben mir mitIhren schlechten Manieren meine Stammgäste! Sie können sofort gehen!«
    Kleinlaut, die breiten Schultern gebeugt, verließ er die Pension.
     
    Fredo Wattnor lebte bei seiner Großmutter. Sie war äußerst aufgebracht über den Verlust seiner Arbeitsstelle und machte ihm ernsthafte Vorwürfe.
    Ihr Weg führte sie direkt zum Arbeitsamt. Der 17-jährige Enkel, der gerne Autoschlosser geworden wäre, aber ein miserables Abschlusszeugnis der Hauptschule besaß, war nicht zu vermitteln. Die Berufsberatung schlug der Großmutter vor, den Jungen zum LFB (Lehrgang zur Förderung der Berufsreife) bei den Berufsbildenden Schulen anzumelden.
    Fredo Wattnor war einverstanden und entschied sich für die Richtung »Technik«.
    Zur freudigen Überraschung der Großmutter ging er gerne zur Schule. Er wollte das knappe Schuljahr hinter sich bringen. Ihn trieb die Gier nach einem Motorrad an, das Oma als Prämie für den erfolgreichen Abschluss aussetzte. Zum anderen fand er den Lehrertyp gut, der wie ein Freund zu ihm war, ohne sogleich loszubrüllen, wenn er nicht sofort begriff. Auch die Lehrwerkmeister in den Maschinenhallen zeigten Geduld. Sie legten Fredo die Werkstücke gelassen in die Hand, und dann ließen sie ihn an der Fräse arbeiten.
    Mit Zufriedenheit setzte er nach nur wenigen Unterrichtswochen voller Stolz vor der staunenden Großmutter das erste selbst gefertigte Stück auf den Tisch. Der getriebene Stahl verlief in Windungen und stand auf breiten Füßen. Gebogene Arme boten Platzfür drei Kerzen. Oma lief das Herz über. Sie stellte mit innerer Befriedigung den Kerzenleuchter auf das Fernsehgerät.
    Lehrer Karski, der am Anfang einer großen Karriere stand, war mit seiner Arbeit und den Leistungen der modernen »Analphabeten« zufrieden, hatte er doch selbst der kleinen Kommission angehört, die sich im jahrelangen Ringen im Auftrage des Kultusministers auf ein Unterrichtsprogramm geeinigt hatte, das solchen Schülern wie

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