Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
13 kleine Friesenmorde

13 kleine Friesenmorde

Titel: 13 kleine Friesenmorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
Vom Netzwerk:
hoher Bugwelle schnitt und nach 20 Minuten Fahrzeit ihre Klappe auf den Zementsockel des Anlegers ausfuhr.
    Als sich der Schlagbaum hob, brauste Tore Ole Lemm mit seinem Porsche auf die holprige Asphaltpiste, die sich nach hundert Metern gabelte. Die breite Uferstraße war wenig befahren.
    Iris Melchior schaute aus dem Fenster des Wagens und genoss den Blick über den glatten Sund, der die vorgelagerten Felsen umspülte.
    Sie hatten einen ausgiebigen Ausflug in den Geiranger Fjord unternommen.
    Tore Ole Lemm steuerte den Wagen am Flugplatz vorbei, ließ die hässlichen Öltanks hinter sich, fuhr an der kleinen Stabkirche vorbei, die wie ein Seezeichen auf einer steinigen Landzunge in den Atlantik hineinlugte.
    In der Nähe befand sich das romantische Holzhaus. Es trug die typische kaminrote Schutzfarbe und stand einsam, wie eine Fischerhütte, auf einem vom Meer umspülten riesigen Felsbrocken.
    Tore Ole parkte den Wagen vor dem kleinen Holzzaun. Er stieg aus.
    »Endlich wieder daheim!«, rief er überschwänglich und drückte Iris Melchior an sich. »Ein Kuss, mein deutschesFräuleinwunder!«, sagte er und schmatzte zum Spaß mit seinen schmalen Lippen.
    Schön sieht er aus!, dachte Iris Melchior und wehrte ihren Freund mit einem Lächeln ab.
    »Nicht so stürmisch, mein Wikinger!«, sagte sie und folgte ihm in die Hütte.
    »Ich werde gleich den Kamin anwerfen«, sagte er im Korridor.
    »Kann mir denn in deiner Nähe kalt werden?«, fragte die Studentin schelmisch. Sie bekam keine Antwort.
    Ihr Freund stand wie versteinert in dem kleinen Wohnraum und starrte auf die Unordnung. Das Fenster, das den Blick auf den Atlantik frei ließ, stand offen. An der mit schweren Eichenbohlen getäfelten Wand saßen wie kleine Fliegen die Reißnägel im Holz, und die Fotos, die Tore Ole Lemm mit dem Talent eines Künstlers und in der tiefen Bewunderung ihrer Schönheit von Iris aufgenommen hatte, lagen zerrissen auf dem Boden.
    Sein Gesicht wurde um eine Nuance weißer, als er bei genauerem Hinsehen feststellte, dass die Bilderschnipsel ein Kreuz bildeten.
    Er faltete kurz die Hände und warf einen Blick an die Holzdecke. Dann vernahm er den Schrei, den seine Freundin ausstieß.
    »Meine Sachen! Meine Koffer sind weg! Und mein Umhängebeutel! Meine Fahrkarte!«
    Tore Ole Lemm rannte in das kleine Schlafzimmer. Die Schränke waren offen. Schubladen waren herausgerissen, der Inhalt lag wild zerwühlt herum.
    Iris Melchior kniete auf dem Fußboden.
    »Mein Schiffsticket von der ?Polar-Road Star?«, stöhnte sie. Es lag seitlich vor den Betten, so als habe der Einbrecher es in seiner Eile verloren. »Gott sei Dank! Ichhatte Brieftasche und Geldbörse bei mir.« Langsam beruhigte sich die Studentin wieder.
    Tore Ole Lemm ließ das Mädchen allein im Schlafzimmer und hastete in den Wohnraum. Entsetzt stand er vor dem Kreuz, das aus den bunten Bilderfetzen gebildet an ein Puzzle erinnerte. Er spürte eine Friedhofskälte
    »Eine Morddrohung!«, durchfuhr es ihn, und er schob mit dem Fuß die Bilderschnipsel zu einem Haufen zusammen. »Iris«, rief er, »wir müssen hier weg!«
    Die Studentin näherte sich ihm mit bleichem Gesicht. Er nahm sie an die Hand.
    »Einbrecher!«, sagte Tore gehetzt.
    Er verließ mit seiner Freundin das Holzhaus, das für ihn schlagartig jeden Reiz verloren hatte. Er zerrte das Mädchen in den Porsche und brauste los in Richtung Fähre, um in der Stadt Unterschlupf zu finden.
     
    Als Tore Ole Lemm in Bergen auf den breiten Parkstreifen der Tankstelle fuhr, verließ Iris Melchior mit ernsten Gesichtszügen den schnellen Porsche.
    Viele Fragen, die sich bei ihr seit dem Vorfall in der Hütte auf Vigra lawinenartig angesammelt hatten, waren von ihrem Geliebten unbeantwortet geblieben. Auch während der Autofahrt von Ålesund nach Bergen hatte ihr Freund Tore es verstanden, sich mit Ausreden herauszuwinden, und Iris hatte sich daraufhin in die wunderbare Landschaft vertieft, die an ihrem Fenster vorbeigeflogen war.
    Tore Ole Lemm stand vor ihr. In seinem Gesicht lagen ernste Falten. Er überspielte seine Unruhe, die ihn innerlich fast zerriss. »Einbrecher«, sagte er und pressteIris an sich. »Das war im vorigen Jahr auf dem Festland ebenso. Eine Bande, die sich auf Ferienhäuser spezialisiert hat.«
    In das hübsche Gesicht der Studentin fielen Tränen. Die Abschiedsszene vor der viel besuchten Tankstelle, die nichts sagenden Bemerkungen ihres Freundes und die Angst, die sie beschlich, nagten an ihren Nerven.

Weitere Kostenlose Bücher