13 - Wo kein Zeuge ist
Er steckte sich eine Zigarette an, um die Antwort hinausschieben zu können. Das war eine Methode, die die Gesellschaft, Kultur, Kino und Fernsehen allen beigebracht hatten. Schließlich fuhr er sehr leise fort: »Barbara, es fing an ... Nein. Angela hat irgendwann angefangen, mich zu belügen. Wohin sie ging, wen sie traf. Und auch am Ende stand eine Lüge. Eine Reise nach Ontario zu Verwandten, zu ihrer Tante - Patentante, um genauer zu sein -, die krank geworden war und der sie viel zu verdanken hatte. Und Sie haben sicher erraten, nicht wahr, dass nichts von alldem wahr ist, sondern dass es einen anderen Mann gibt, so wie ich einmal der andere Mann in Angelas Leben war ... Und darum war ich, als Hadiyyah mich angelogen hat ...«
»Ich verstehe.« Barbara stellte fest, dass sie nur den Schmerz lindern wollte, den sie in seiner Stimme hörte. Sie musste nicht wissen, was Hadiyyahs Mutter mit wem getrieben hatte. »Sie haben Angela geliebt, und sie hat Sie angelogen. Sie wollen nicht, dass auch Hadiyyah lernt zu lügen.«
Er sagte: »Die Frau, die man mehr liebt als sein Leben, die Frau, für die man alles aufgegeben hat, die einem ein Kind geschenkt hat ... das dritte Kind, aber die anderen beiden sind für immer verloren ...«
»Azhar«, unterbrach Barbara. »Azhar, Azhar. Es tut mir Leid. Ich habe nicht darüber nachgedacht ... Sie hatten Recht. Wie könnte ich auch nur ahnen, wie das ist? Verdammt. Ich wünschte ...« Was?, fragte sie sich. Dass er hier wäre, antwortete sie sich selbst, hier in diesem Zimmer, damit sie ihn umarmen und ihm irgendetwas geben könnte. Trost, aber gleichzeitig mehr als Trost, dachte sie. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich nie einsamer gefühlt.
»Kein Weg ist einfach«, sagte er. »Das ist etwas, das ich gelernt habe.«
»Das ändert nichts an dem Schmerz, nehme ich an.«
»Wie wahr. Ah, Hadiyyah rührt sich. Würden Sie gern ...?«
»Nein. Aber grüßen Sie sie von mir. Und wenn Sie das nächste Mal zu einer Konferenz oder so müssen, Azhar, dann denken Sie an mich, in Ordnung? Wie gesagt, ich kümmere mich gern um sie, wenn Sie weg sind.«
»Danke«, sagte er. »Ich denke oft an Sie.« Und damit legte er auf.
Barbara stand da, den Hörer in der Hand, den sie weiterhin ans Ohr gepresst hatte, als könne sie den kurzen Kontakt mit ihrem Nachbarn dadurch verlängern. Schließlich sagte sie: »Also dann, Wiedersehen«, und legte auf. Aber sie ließ die Finger auf dem Telefon ruhen und spürte ihren Puls in den Fingerspitzen.
Sie fühlte sich leichter, wärmer. Als sie endlich in die Dusche stieg, summte sie nicht »Raining in My Heart«, sondern »Everyday«, das besser zu ihrer veränderten Stimmung zu passen schien.
Die anschließende Fahrt nach Scotland Yard machte ihr überhaupt nichts aus. Sie meisterte den Weg in aller Gelassenheit, ohne eine einzige Zigarette als Nervenfutter zu brauchen. Doch ihre Fröhlichkeit verflog, sobald sie in die Einsatzzentrale kam.
Dort herrschte summende Betriebsamkeit. Kleine Gruppen standen um drei Schreibtische herum, und alle beugten sich über ausgebreitete Boulevardzeitungen. Barbara schloss sich der Gruppe an, zu der Winston Nkata gehörte. Er stand ganz hinten, die Arme vor der Brust verschränkt, wie es seine Gewohnheit war, aber trotzdem fasziniert.
»Was ist los?«, fragte sie ihn.
Nkata wies in Richtung Schreibtisch. »Der Artikel über den Chef steht drin.«
»Schon heute?«, fragte sie. »Das ging verdammt schnell.« Sie schaute sich um und sah überall grimmige Gesichter. »Er wollte, dass dieser Corsico beschäftigt ist. Hat das nicht geklappt oder so?«
»Oh, der war schwer beschäftigt«, erwiderte Nkata. »Hat sein Haus ausfindig gemacht und ein Foto davon abgedruckt. Die Straße hat er nicht genannt, aber er erwähnt Belgravia.«
Barbaras Augen weiteten sich. »Dieser Drecksack. Das ist furchtbar.«
Sie arbeitete sich allmählich nach vorn, als andere Kollegen beiseite traten, nachdem sie die Zeitung gesehen hatten. Sie blätterte zurück zur Titelseite und las die Überschrift: »Seine Lordschaft, der Polizist« mit einem Foto von Lynley und Helen, Arm in Arm und Champagnergläser in den Händen. Havers erkannte das Bild. Es war im vergangenen November bei einer Feier aufgenommen worden: der Silberhochzeit von Webberly und seiner Frau, nur wenige Tage, bevor ein Mörder versucht hatte, den Superintendent zu einem seiner Opfer zu machen.
Sie überflog den Artikel, während Nkata wieder zu ihr trat. Barbara
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