13 - Wo kein Zeuge ist
als Davey Benton ermordet worden war.
Lynley war noch dabei, die Beamten einzuteilen - unter anderem musste eine Gesprächsliste für Minshalls Handy besorgt werden, und irgendjemand sollte die Teilnehmer am letzten MABIL-Treffen in der St.-Lucy-Kirche ermitteln, notfalls über Fingerabdrücke -, als Dorothea Harriman Mitchell Corsico in die Einsatzzentrale führte.
Man konnte ihr ansehen, dass ihr nicht wohl dabei war. Ihr Ausdruck war unmissverständlich: Anordnung von oben.
»Ah«, sagte Lynley, »Mr. Corsico. Begleiten Sie mich, bitte.« Und damit ging er hinaus, damit das Team sich an die Arbeit machen konnte.
Barbara hörte seinen frostigen Tonfall und wusste, dass Corsico allerhand zu hören kriegen würde.
Lynley hatte eine Ausgabe der Source. Der wachhabende Beamte an der Tiefgarageneinfahrt hatte sie ihm überlassen, als er zur Arbeit gekommen war. Lynley hatte den Artikel überflogen und seinen Irrtum erkannt. Welches Ausmaß an Selbstüberschätzung, zu glauben, man könne eine Gazette überlisten. Es war das tägliche Brot dieser Zeitungen, nutzlose Informationen auszugraben, darum hatte er damit gerechnet, dass in dem Artikel über seinen Titel und seinen Familiensitz, auch über seine Oxford- und Eton-Vergangenheit geschrieben werden würde. Womit er hingegen nicht gerechnet hatte, war, dass ein Foto seines Londoner Hauses die Zeitung zieren würde, und er war entschlossen, dafür zu sorgen, dass dieser Reporter keine weiteren Beamten in Gefahr brachte, indem er mit ihnen ebenso verfuhr. »Ein paar grundsätzliche Regeln«, sagte er, als er mit Corsico allein war.
»Hat das Porträt Ihnen nicht gefallen?«, fragte der junge Mann und zog seine Jeans hoch. »Es war nicht einmal der Hauch einer Andeutung auf Ihre Ermittlung darin oder die Spuren, die Sie schon haben. Oder auch nicht haben«, fügte er mit einem mitleidigen Lächeln hinzu, das Lynley ihm am liebsten vom Gesicht gewischt hätte.
»Die Kollegen hier haben Frauen, Männer und Familien«, sagte Lynley. »Lassen Sie sie aus dem Spiel.«
»Keine Bange«, beruhigte Corsico ihn. »Sie sind mit Abstand der Interessanteste von dem Haufen. Wie viele Polizisten können schon von sich behaupten, einen Steinwurf vom Eaton Square entfernt zu wohnen? Heute Morgen hat mich übrigens ein Detective Sergeant aus Yorkshire angerufen. Ich kann Ihnen den Namen nicht sagen, aber er meinte, er habe vielleicht ein paar Informationen, die wir als Folgestory zum heutigen Artikel gebrauchen könnten. Möchten Sie einen Kommentar abgeben?«
Lynley vermutete, dass das nur Detective Sergeant Nies von der Richmond Police sein konnte, der sicher ganz versessen darauf war, dem Reporter detailliert zu erzählen, wie es gewesen war, den Earl of Asherton in Untersuchungshaft zu haben. Und der Rest von Lynleys finsterer Vergangenheit würde ebenfalls ans Licht kommen: Alkohol am Steuer, ein demoliertes Auto, ein verkrüppelter Freund - alles.
»Hören Sie mir zu, Mr. Corsico«, sagte er, und in dem Moment begann sein Telefon zu klingeln. Er griff nach dem Hörer. »Lynley. Was?«, fragte er ungeduldig.
»Ich sehe dieser Zeichnung kein bisschen ähnlich, wissen Sie«, bekam er zur Antwort. Es war eine Männerstimme, ausgesprochen liebenswürdig. Beschwingte Tanzmusik säuselte im Hintergrund. »Die im Fernsehen. Und welche Anrede ziehen Sie vor, Superintendent oder Mylord?«
Lynley zögerte, und tödliche Ruhe kam über ihn. Er war sich Mitchell Corsicos Anwesenheit im Raum nur zu bewusst. Er bat seinen Anrufer: »Würden Sie bitte einen Moment warten?«, und wollte Corsico auffordern, ihn für fünf Minuten allein zu lassen, als die Stimme fortfuhr: »Ich lege auf, wenn Sie das versuchen, Superintendent Lynley. Na bitte. Es scheint, ich habe mich entschieden, wie ich Sie nennen soll.«
»Wenn ich was versuche?«, fragte Lynley. Er sah zu seiner Bürotür und auf den Korridor hinaus, in der Hoffnung, jemanden zu entdecken, den er hereinwinken konnte. Doch niemand kam vorbei, und so griff er nach einem Notizblock, um eine Nachricht zu schreiben.
»Ach, bitte. Ich bin kein Idiot. Sie werden diesen Anruf nicht zurückverfolgen können, weil ich dafür nicht lange genug in der Leitung bleibe. Hören Sie einfach zu.«
Lynley bedeutete Corsico, an seinen Schreibtisch zu treten. Der Reporter gab vor, ihn nicht zu verstehen, deutete auf die eigene Brust und runzelte die Stirn. Lynley hätte ihn am liebsten erwürgt. Er wiederholte seine Geste und reichte ihm schließlich
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