13 - Wo kein Zeuge ist
umzusetzen. Nichts war natürlich. Er musste einen bewussten Entschluss fassen, seinen Arm zu bewegen, statt es einfach zu tun, und trotzdem bewegte er sich nicht. Das Gleiche galt für seine Beine. Sein Kopf war ungeheuer schwer, und irgendetwas schien einen Kurzschluss in seinen Muskeln ausgelöst zu haben. Es fühlte sich an, als befänden seine Nervenenden sich im Kriegszustand.
Außerdem war er sich bewusst, dass Dunkelheit ihn umgab und etwas sich bewegte. Als es ihm gelang, seinen Blick zu fokussieren, nahm er auch Wärme wahr. Die Wärme trat in Zusammenhang mit Bewegung, und er nahm vage zur Kenntnis, dass er nicht allein war. Eine Gestalt lag im Halbdunkel, und er selbst lag halb auf ihr und halb auf dem Boden des Lieferwagens.
Er wusste, dass es ein Lieferwagen war. Er wusste, es war der Lieferwagen. In dem Moment, als eine Stimme aus dem Halbdunkel seinen Namen gesagt hatte, als er sich umwandte und glaubte, es sei ein Reporter, der gekommen war, um der Erste zu sein, um den Nicht-Ehemann und Nicht-Vater, der er gerade geworden war, zu interviewen, hatte ihm ein Teil seines Gehirns gesagt, dass etwas nicht stimmte. Dann hatte er die Taschenlampe in der ausgestreckten Hand gesehen und gewusst, wen er vor sich hatte. Danach hatte ihn der Stromschlag getroffen, und es war vorbei.
Er wusste nicht, wie viele weitere Elektroschocks er während der Fahrt zu diesem Ort bekommen hatte. Woran er sich indessen erinnerte, war, dass sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit erfolgt waren, die darauf hindeutete, dass sein Entführer wusste, wie lange der Lähmungszustand eines Opfers anhielt.
Als der Van anhielt und der Motor verstummte, kletterte der Mann, der sich Fu genannt hatte, in den Laderaum, den Elektroschocker in der Hand. Er verabreichte Lynley eine weitere Dosis in der geschäftsmäßigen Art, wie ein Arzt eine notwendige Injektion geben mochte, und als Lynley das nächste Mal zur Besinnung kam und allmählich wieder anfing zu glauben, dass die Muskeln, die er fühlte, tatsächlich seine eigenen waren, stellte er fest, dass er an die Innenwand des Vans gefesselt war. Sein Gewicht hing an den Handgelenken und den Schultern, und seine Beine waren nach hinten abgewinkelt, sodass sie ebenfalls mit der Seitenwand verbunden werden konnten. Es fühlte sich an wie Lederfesseln, aber es hätte auch alles andere sein können. Er konnte sie nicht sehen.
Was er hingegen sah, war die Frau - die Quelle der Wärme, die er zuvor gespürt hatte. Sie lag gefesselt am Boden des Lieferwagens, die Arme seitlich ausgestreckt wie bei einer Kreuzigung. Das Kreuz selbst bestand aus einem Brett, auf dem sie lag. Ein Streifen breites Klebeband bedeckte ihren Mund. Ihre Augen waren in Panik aufgerissen.
Panik ist gut, dachte Lynley. Panik ist viel besser als Resignation. Als er sie ansah, schien sie seinen Blick zu spüren. Sie wandte den Kopf. Er erkannte, dass sie die Frau von Colossus war, aber in seinem derzeitigen Zustand konnte er sich nicht an ihren Namen erinnern. Das alles legte nahe, dass Barbara Havers auf ihre unnachahmliche, sture und dickköpfige Art die ganze Zeit Recht gehabt hatte: Der Mörder, der mit ihnen hier im Lieferwagen war, war einer der Angestellten von Colossus.
Fu war dabei, alles vorzubereiten, in erster Linie sich selbst. Er hatte eine Kerze angezündet und sich ausgezogen und salbte seinen nackten Körper mit einer Substanz - das musste das Ambra-Öl sein, richtig? -, die er einem braunen Fläschchen entnahm. Neben ihm befand sich der Kocher, den Muwaffaq Masoud ihnen beschrieben hatte. Eine große Pfanne stand darauf, die bereits heiß wurde und den schwachen Geruch von gebratenem Fleisch verströmte.
Er summte tatsächlich vor sich hin. Für ihn war all dies hier nichts Besonderes: Sie waren in seiner Gewalt, er hatte die Macht über sie, und die Manifestation von Macht, die Ausübung von Macht waren das, was er vom Leben wollte.
Die Frau am Boden gab hinter dem Klebeband einen erbarmungswürdigen Laut von sich. Fu wandte sich um, als er ihn hörte, und Lynley sah, dass der Mann ihm vage vertraut vorkam, dass er dieses englische Durchschnittsgesicht hatte: eine ausgeprägte, spitze Nase, ein abgerundetes Kinn und Brotteigwangen. Er sah aus wie hunderttausend andere Männer auf der Straße, aber in ihm war das Gen irgendwie mutiert, also war er kein gewöhnlicher harmloser Zeitgenosse, der irgendeiner normalen Arbeit nachging und abends zu Frau und Kindern in sein Reihenhäuschen fuhr, sondern
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