13 - Wo kein Zeuge ist
sind.«
»Genau«, antwortete Nkata. »Fast dreizehn Zentimeter in einem Sommer. Autsch.«
Daniel lachte. Er sah aus, als wolle er es sich in der Diele zu einem ausführlichen Plausch gemütlich machen, aber seine Mutter kam dem zuvor, indem sie mit deutlicher Schärfe seinen Namen sagte. Daniel schaute von Nkata zu ihr und wieder zurück.
»Geh deinen Kakao trinken«, sagte Nkata. »Wir seh'n uns später.«
»Ja?« Der Gesichtsausdruck des Jungen bettelte um ein Versprechen.
Doch Yasmin Edwards ließ es nicht zu. »Daniel, dieser Mann ist beruflich hier, sonst nichts.« Und das war genug. Mit einem letzten Blick über die Schulter ging der Junge zurück in die Küche. Yasmin wartete, bis er verschwunden war, ehe sie Nkata fragte: »Sonst noch was?«
Er trank einen Schluck Kakao und stellte die Tasse dann auf den niedrigen Tisch, wo immer noch der rote Aschenbecher in Form eines hochhackigen Schuhs stand, jetzt leer, nachdem die deutsche Frau, die ihn benutzt hatte, aus Yasmin Edwards Leben verschwunden war. »Sie müssen besser aufpassen«, sagte er. »Auf Dan.«
Sie presste die Lippen zusammen. »Wollen Sie sagen ...«
»Nein«, unterbrach er. »Sie sind die beste Mutter, die der Junge auf der Welt haben könnte. Und ich meine das ernst, Yasmin.« Er erschrak, als er sich ihren Vornamen aussprechen hörte, und war dankbar, dass sie vorgab, es nicht gemerkt zu haben. Hastig fuhr er fort: »Ich weiß, dass Sie bis über beide Ohren in Arbeit stecken. Mit dem Perückenladen und so. Dan ist manchmal allein, nicht weil Sie das so wollen, sondern weil's eben so ist. Was ich sagen wollte, war nur das: Dieser Scheißkerl schnappt sich Jungen in Dans Alter und bringt sie um, und ich will nicht, dass das Dan passiert.«
»Er ist nicht blöd«, entgegnete Yasmin knapp, doch er merkte, dass ihre Gelassenheit nur gespielt war. Sie war ebenfalls nicht blöd.
»Das weiß ich, Yas. Aber er ...« Nkata suchte nach den richtigen Worten. »Man merkt, dass er so was wie eine Vaterfigur sucht. Das ist nicht zu übersehen. Und soweit wir beurteilen können, sind die Jungen freiwillig mit ihm mitgegangen. Sie wehren sich nicht. Niemand sieht irgendwas, weil es nichts zu sehen gibt, weil sie ihm trauen, okay?«
»Daniel würde nie mit irgendeinem ...«
»Wir glauben, dass er einen Lieferwagen fährt«, fiel Nkata ihr ins Wort, obwohl ihre Verächtlichkeit offensichtlich war. »Wahrscheinlich rot.«
»Jetzt hören Sie mal zu: Daniel lässt sich von niemandem im Auto mitnehmen. Nicht von Leuten, die er nicht kennt.« Sie schaute wieder zur Küche hinüber und senkte die Stimme: »Was wollen Sie eigentlich sagen? Denken Sie, ich hätte ihm das nicht beigebracht?«
»Ich weiß, dass Sie ihm das beigebracht haben. Wie ich sagte: Mir ist klar, dass Sie dem Jungen eine gute Mutter sind. Aber das ändert nichts daran, wie es in seinem Innern aussieht, Yas. Tatsache ist: Er sucht einen väterlichen Freund.«
»Meinen Sie vielleicht, Sie könnten das sein?«
»Yas.« Jetzt, da er einmal damit angefangen hatte, ihren Namen auszusprechen, stellte Nkata fest, dass er ihn gar nicht oft genug sagen konnte. Es war eine Sucht, und er wusste, er musste sie schnellstmöglich loswerden, sonst wäre er bald so verloren wie ein Junkie, der an The Strand in einem Hauseingang schlief. Also versuchte er es noch einmal: »Mrs. Edwards, ich weiß, dass Dan oft allein ist, weil Sie arbeiten müssen. Das ist weder gut noch schlecht, das ist einfach, wie es ist. Ich will ja nur, dass Sie Bescheid wissen, was in der Stadt vor sich geht.«
»Okay«, sagte sie. »Ich hab's kapiert.« Sie trat an ihm vorbei und legte die Hand auf den Türknauf. »Sie haben getan, wozu Sie hergekommen sind, und jetzt können Sie ...«
»Yas!« Nkata wollte sich nicht hinauswerfen lassen. Er war hier, um der Frau einen Dienst zu erweisen, ob sie es nun wollte oder nicht, und dieser Dienst bestand darin, ihr die Gefahr und Dringlichkeit der Situation vor Augen zu führen, die sie offenbar nicht begreifen wollte. »Da draußen ist ein Arschloch unterwegs und bringt Jungen wie Daniel um«, sagte er hitziger, als er beabsichtigt hatte. »Er lockt sie in einen Lieferwagen und verbrennt ihre Hände, bis die Haut schwarz wird. Dann stranguliert er sie und schlitzt sie auf.« Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit, und das spornte ihn an, fortzufahren, als könne er ihr mit jedem Wort irgendetwas beweisen. Was dies jedoch war, darüber wollte er im Moment nicht nachdenken.
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