13 - Wo kein Zeuge ist
Regenwürmer. Unvermittelt sagte sie: »Das wurde auch Zeit. Was hat euch denn auf einmal Feuer unterm Hintern gemacht? Das wüsst ich gern, damit ich beim nächsten Mal weiß, was ich zu tun hab.«
Nkata übersetzte diese Bemerkung und zog den Schluss, dass sie die Polizei erwartet hatte. Eingedenk der Informationen, die ihm die eine redewillige Nachbarin in North Peckham gegeben hatte, nahm er an, dass sie von ihrer Auseinandersetzung mit Mrs. Salvatore und deren Ausgang sprach - welchen auch immer.
»Eine Frau drüben in North Peckham hat mir gesagt, Sie wüssten vielleicht, wo Jared Salvatores Mutter zu finden ist«, begann er. »Stimmt das?«
Navina kniff die Augen zusammen. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette - tief genug, dass Nkata stellvertretend für ihr ungeborenes Kind schauderte -, und während sie den Qualm ausblies, betrachtete sie ihn, dann ihre Fingernägel, die dunkelrosa lackiert waren, genau wie die Fußnägel. Langsam fragte sie: »Was ist mit Jared? Wissen Sie was über ihn?«
»Ich muss mit seiner Mutter reden. Können Sie mir sagen, wo sie ist?«, erwiderte Nkata.
»Meinen Sie etwa, die würd das interessieren?« Navina klang verächtlich. »Meinen Sie, der würd ihr Sohn mehr bedeuten als ihr Schnee? Die Fotze wusste nicht mal, dass er verschwunden ist, bis ich ihr's gesagt hab, Mister, und wenn Sie sie unter der Brücke finden, wo sie jetzt pennt, nachdem sie aus North Peckham rausgeflogen ist, können Sie ihr sagen, von mir aus soll sie krepieren, und ich werd auf ihren Sarg spucken, und zwar mit Vergnügen.« Sie zog wieder an der Zigarette. Nkata sah ihre Hände beben.
»Navina, können wir vielleicht mal vorn anfangen?«, bat Nkata. »Ich tappe im Dunkeln.«
»Wieso? Was muss ich euch denn noch erzählen? Er ist jetzt schon seit Ewigkeiten verschwunden, und das sieht ihm nicht ähnlich, und das hab ich euch jetzt schon tausendmal gesagt. Nur hört mir keiner zu, und ich bin bald am Ende ...«
»Augenblick mal«, unterbrach Nkata. »Wollen Sie sich nicht hinsetzen? Ich versuch, das zu verstehen, aber Sie sind zu schnell.« Er zog einen Stuhl vom Tisch herüber und wies darauf. In diesem Moment kam eines der Kleinkinder in die Küche gewatschelt. Die Pampers hing ihm fast auf den Knien, und Navina nahm sich einen Moment Zeit, um das Kind zu wickeln. Sie riss die alte Pampers herunter und warf sie in den Schwingdeckeleimer - die Landung gelang glücklicherweise -, legte ihm, ohne die Kotreste von seiner Haut zu entfernen, eine frische an. Danach kramte sie ein Trinkpäckchen hervor, drückte es dem Kind in die Finger und überließ es ihm selbst, eine Methode zu entwickeln, den kleinen Strohhalm in das vorgesehene Loch zu stoßen. Dann ließ sie sich auf den Stuhl sinken. Die ganze Zeit über hatte die Zigarette zwischen ihren Lippen gehangen, doch jetzt drückte sie sie in einem Aschenbecher aus, den sie unter einem der dreckigen Wäschestapel hervorzog.
»Sie haben Jared als vermisst gemeldet?«, fragte Nkata. »Wollten Sie mir das sagen?«
»Ich bin gleich zur Polizei, als er nicht zur Geburtsvorbereitung gekommen ist. Ich wusste sofort, da stimmt was nicht, denn er ist immer gekommen, hat sich um sein Baby gekümmert, versteh'n Sie?«
»Also ist er der Vater? Jared Salvatore ist der Vater Ihres Babys?«
»Und war von Anfang an stolz drauf. Dreizehn Jahre alt. Nicht viele Typen fangen so früh an, und das gefiel Jared. Er war stolz wie Oskar an dem Tag, als ich's ihm gesagt hab.«
Nkata hätte gerne gewusst, was sie sich dabei gedacht hatte, mit einem dreizehnjährigen Jungen rumzuvögeln, der zur Schule gehen und seinen Weg machen sollte, keine Babys. Aber er fragte nicht. Genau betrachtet hätte Navina selbst in die Schule gehört oder zumindest irgendetwas Sinnvolleres tun sollen, als sich einem geilen Teenager anzubieten, der mindestens drei Jahre jünger war als sie. Und sie musste es mit Jared getrieben haben, seit der Junge zwölf gewesen war. Schon bei dem Gedanken wurde Nkata ganz schwindelig. Und er wusste, mit zwölf Jahren und einer willigen Frau hätte er sein Leben auch freudestrahlend weggeworfen, begierig nach dem lustvollen Moment und unfähig, an irgendetwas anderes zu denken.
Zu Navina sagte er: »Wir haben eine Anzeige von seinem Bruder Filipe in Pentonville. Jared ist nicht wie üblich zu Besuch gekommen, und da hat Filipe ihn als vermisst gemeldet. So ungefähr vor fünf, sechs Wochen.«
»Ich bin zwei Tage später zur Polizei gegangen!«,
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