1300 - Die Templerin
strichen.
Der Weg aus hart gestampftem Lehm endete schließlich vor einer Treppe. Sie führte in die Tiefe des Verlieses, wo der Schmerz und der Tod allgegenwärtig waren. Schon auf den ersten Stufen glaubte er, den Geruch noch intensiver zu erleben. Die Treppe war nicht sehr lang. Schmale, hohe Stufen führten einem Ziel entgegen, das vom glosenden Licht einer Fackel nur notdürftig erhellt wurde.
Es war still wie in einem Grab in dieser Unterwelt. Er hörte nur seine eigenen Schritte und vernahm seinen Atem, der in immer kürzeren Abständen über seine Lippen floss, denn die Nähe seines Ziels ließ ihn unruhig werden.
Diese Frau! Dieses herrliche Weib, das schon unter seiner Folter gelitten hatte. Das bei Anbruch der Dunkelheit auf dem Hof verglüht werden sollte. Diese Sünde an sich, sie wollte er noch sehen, und er würde ihr eine besondere Beichte abnehmen, denn es gab keine Zeugen. Sie würden allein sein. Man hatte ihr gesagt, dass er kam. Möglicherweise schöpfte sie Hoffnung und würde alles tun, um ihm zu gefallen.
Ja, so hatte es sich der Großinquisitor ausgemalt.
Es gab Frauen, die er hasste. Er hasste sie alle. Auch die, die er begehrte. Sie trugen die Schuld an so vielen Dingen. Sie waren wahre Teufel, sie waren Hexen, aber sie waren auch verdammt schön, und das konnte er nicht begreifen. Ihre Schönheit machte die Männer verrückt, und so etwas konnte nur der Teufel in die Welt geschafft haben.
Bernado wusste genau, an welcher Tür er stehen bleiben musste.
Es gab mehrere von ihnen. Ob sich dahinter Menschen befanden, war ihm nicht bekannt. Der Geruch jedenfalls deutete darauf hin.
Sie vegetierten, sie verhungerten oder verdursteten manchmal. Es kam immer auf die Urteile an, die er gesprochen hatte.
Und wer es vor Durst nicht aushielt, der bekam stark mit Salz angereichertes Wasser zu trinken.
Sein Mund war trocken geworden. Die Vorfreude steckte noch immer in ihm. Er rieb seine Hände. Als sich die Finger um den Riegel legten, da sah er, dass sie zitterten.
Der Riegelbalken ließ sich leicht bewegen. Nur eine Fackel brannte hier unten. Ihr Licht erreichte ihn soeben, erzeugte auch einen Schatten, der sich scharf auf dem Boden abmalte, und Bernado dachte daran, dass dies sein zweites Ich war. Oder sein eigentliches Ich, das ihm eine gewisse Freiheit gewährte, der ansonsten Grenzen gesteckt waren.
Der Riegel fuhr zurück. Er konnte die Tür öffnen. Sicherheitshalber schaute er den Weg zurück, den er genommen hatte. Es war ihm niemand gefolgt. Das hätte er auch keinem geraten. Die Strafe wäre für ihn schrecklich gewesen.
Der Großinquisitor öffnete die Tür. Er tat es mit Bedacht und musste sich dabei schon zusammenreißen, um nicht wie ein junger Springinsfeld in das Verlies zu hüpfen.
Er betrat es würdevoll.
Er nahm den Geruch nur wie nebenbei wahr. An der rechten Wand gloste das Licht der Fackel. Es reichte aus, um diesen Raum notdürftig zu erhellen. Er sah nicht, was sich darin befand. Nicht das neue Stroh, nicht die Lumpen in der Ecke. Nicht das Loch für die Notdurft, die zuvor weggeschafft worden war, er hatte nur Augen für sie. Für sie ganz allein.
Sie stand aufrecht wie eine Statue da und schaute ihm offen entgegen!
***
Das war sie. Ja, das war Konstanza, die Ketzerin, die den Glauben und die heilige Kirche verraten und deren Gesetze und Dekrete in den Schmutz gezogen hatte.
Sie war einmalig in ihrer Schönheit. So wie sie hatte er sich immer die Heilige Mutter Gottes Maria vorgestellt. Schrecklich dieser Gedanke. Er vertrieb ihn so schnell wie er aufgekommen war. Nein, nur daran nicht denken. Jetzt gab es nur die Frau und deren Körper.
Konstanza begrüßte ihn mit keinem Wort. Sie schaute nur zu, wie er sich verhielt und sah, wie er die Tür zudrückte. Dabei richtete er seinen Blick zu Boden, weil er herausfinden wollte, wie lang die Kette war, die an ihrem Fuß befestigt war. Danach konnte er sich ausrechnen, wie weit er sich ihr nähern konnte, ohne in Gefahr zu geraten.
Er entdeckte sie und stellte fest, dass sie ziemlich gespannt war.
Weit konnte sie nicht mehr vorgehen. Bestimmt hatte sie bereits den Spielraum ausgenutzt.
Er schaute sie an.
Er sprach kein Wort.
Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt, damit sie nicht sah, wie sehr seine Hände zitterten. Selbst die Augen bewegten sich nicht, doch sie erfassten die Person mit einem Blick, und zwar vom Kopf bis zu den Füßen.
Wie schön sie war!
Das glatte, lange schwarze Haar war
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