1306 - Hexenbalg
Gleiche wie ich, John?«
»Ich glaube schon.«
»Was meinen Sie denn?«, fragte der deutsche Kollege.
Jane gab ihm die Antwort. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir Sie zur Beerdigung begleiten?«
Er schaute uns an wie ein kleiner Junge, der den Nikolaus zum ersten Mal sieht. »Sie wollen tatsächlich mitgehen?«
»Ja, warum nicht?« Ich erhob mich von meinem bequemen Stuhl.
»Sie wissen doch, dass sich manche Mörder gern dort zeigen, wo man ihre Opfer zu letzten Ruhe bettet.«
Auch Pichler stand auf. »Das wäre allerdings ein Ding«, flüsterte er nur…
***
Theo Thamm erwachte und wusste im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Zu plötzlich war die Bewusstlosigkeit über ihn gekommen, aber er wusste auch nicht, wie lange er sich in diesem Zustand befunden hatte. Jedenfalls ging es ihm nicht gut. Er fühlte sich matt und schwer angeschlagen.
Er lag auf dem Rücken. Die Augen hielt er offen. Sein Blick streifte über die Decke, aber auch dort fand er keine Antwort. Nur stellte er fest, dass es im Raum heller geworden war. Ein Zeichen, dass sich die Sonne auf ihre Wanderschaft gemacht hatte.
Sie schickte ihren Gruß durch die Scheiben, und Theo Thamm spürte die Wärme auf seiner Haut. Sie tat ihm gut, und wenn er über sich selbst nachdachte, musste er sich eingestehen, dass es ihm persönlich gar nicht mal so schlecht ging.
Seine Gedanken drehten sich einem anderen Thema zu. Es hieß Edita.
Siedendheiß fiel ihm das winzige Kind wieder ein, das er zunächst nur als Puppe gesehen hatte, das aber jetzt so etwas wie ein Eigenleben entwickelt hatte.
Und es hatte ihn angegriffen!
Er holte tief Luft. Dabei entstanden keuchende Geräusche, und er wurde sofort wieder an seinen Hals erinnert. An ihm hatten sich die kleinen Finger festgekrallt und sogar Wunden gerissen.
Theo Thamm hob beide Hände an und führte sie behutsam hoch bis zu seinem Hals. Er brauchte nicht lange zu tasten. Die aufgerissenen Stellen waren schnell gefunden. Das feuchte Blut, leicht klebrig, und er verzog den Mund, als er wenig später seine Fingerspitzen betrachtete und die roten Flecken an den Kuppen sah.
Sie war es gewesen – Edita. Sie hatte ihn angesprungen und angefallen. Sie hatte ihn auch verletzt, aber sie hatte ihn nicht getötet. Genau das gab ihm die Hoffnung zurück. Er wurde noch gebraucht, sonst wäre es mit ihm vorbei gewesen.
In der Kehle lag eine Trockenheit, die irgendwie nach alter Asche schmeckte. Er bemühte sich, ein Wort hervorzubringen. Was er schaffte, war nur ein Krächzen.
Ich lebe noch, und ich werde weiterhin leben!
Das hämmerte er sich ein. Es gibt mich, es wird auch Edita geben.
Es war ein Test, nicht mehr. Vielleicht wollte sie auch ein Zeichen dafür setzen, dass ich jetzt voll und ganz zu ihr gehöre. Wir werden den Weg gemeinsam gehen.
Er setzte sich auf. Zwar drehte sich ein gewisser Teil des Zimmers vor seinen Augen, doch das ließ sich ertragen. Ebenso wie die Schmerzen an seinem Hals. Zwar empfand er sie als Brennen und würde die Wunden auch abdecken müssen, doch sie waren nicht so stark, als dass sie ihn in seinen Aktivitäten behindert hätten.
Er war zudem nicht lange bewusstlos gewesen. Die Beerdigung konnte er noch erreichen. Die Trauergäste strömten sicherlich noch in die Kirche. Da Vinzenz Schwaiger sehr bekannt gewesen war, würden sich die Menschen sogar außerhalb der Kirche aufhalten, weil sie im Innern nicht alle Platz fanden.
Allmählich kehrte bei Theo Thamm die Normalität zurück. Seine Gedanken bewegten sich von der Zukunft weg und beschäftigten sich mit der Gegenwart.
Die hieß für ihn Edita.
Er sah sie nicht!
Theo gab nicht auf, nachdem er sich umgeschaut hatte. Er wusste, dass sich das Wesen noch in seiner Nähe aufhielt. Welchen Grund hätte es für ein Verschwinden haben sollen? Keinen, denn erst durch Theo war es befreit worden. Es sollte ihm eine gewisse Dankbarkeit entgegenbringen. Das musste einfach so sein.
Er wollte aufstehen und wusste zugleich, dass es nicht so leicht sein würde wie sonst. Es war am besten, wenn er sich irgendwo aufstützte. Der Tisch stand in der Nähe. Er würde ihn erreichen können, wenn er sich drehte und dann den Arm ausstreckte.
Mitten in der Bewegung hielt Theo inne. Sein Blick war unter den Tisch gefallen, und genau dort hockte Edita. Das hässliche Kleinkind saß jetzt auf dem Boden, und seine Haltung hatte es nicht verändert. Noch immer waren die Arme ebenso gekrümmt wie die Beine. Auch weiterhin zeigte das
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