1306 - Hexenbalg
Gesicht diesen verzerrten Ausdruck, der all die Boshaftigkeit andeutete, die in diesem kleinen Teufel steckte. Hinzu kam das Grinsen und das Zeigen der spitzen Zähne, auf denen jetzt dunkle Flecken klebten, die Reste seines Bluts.
Auch Theo grinste. Erleichtert. Er wusste zudem, dass ihn Edita nicht angreifen würde, denn das hatte er einfach im Gespür. Und so winkte er dem Balg zu.
»Komm her! Komm zu mir! Wir sind doch Freunde. Wir sind Kumpel. Du kannst dich sogar setzen. Ich glaube, dass du es schaffst, zu laufen. Los, ich warte…«
Seine eigenen Unzulänglichkeiten hatte er vergessen. Für ihn gab es jetzt nur noch das Kind.
Kam es?
Ja, er brauchte kein zweites Mal zu rufen. Seine Augen glänzten plötzlich, als er die Bewegungen nachvollzog, die das Baby machte.
Nein, es war kein Baby mehr. Ein Baby konnte nicht laufen, schon gar nicht, wenn es kurz vor der Geburt dem Mutterleib entrissen worden war. So aber hüpfte und schaukelte es auf ihn zu. Bei jedem Aufsetzen des Fußes drehte es sich mal nach rechts, dann wieder nach links, und Thamm konnte es mit einem aufgedrehten Spielzeug vergleichen.
Das war es nicht.
Es war echt.
Es war ein Wesen, wie man es normalerweise nicht sah. Es war einfach einmalig. Und es gehörte zu ihm, was auch sehr wichtig war.
Er saß und reichte ihm die Hände. Die Beine hatte er so weit wie möglich zu den Seiten hingeschoben, denn das Kind sollte den nötigen Platz bekommen.
Es lebte nicht nur wie eine Marionette, es besaß auch ein inneres Leben. Wo Menschen atmeten, war bei ihm nur ein Keuchen zu hören, wenn es seine Atemstöße ausstieß. Dass ihm dieses Leben vom Teufel eingehaucht worden war, empfand Theo Thamm als eine Sensation. So etwas gab es bestimmt kein zweites Mal auf der Welt.
Schließlich war es so nahe an ihn herangekommen, dass er es anfassen konnte. Diesmal tat er es mit einer besonderen Hingabe.
Er streichelte über den kleinen Körper hinweg und spürte plötzlich etwas, das er zuvor nicht erlebt hatte.
Der Körper war nicht mehr so kalt oder leblos. Er fühlte sich anders an als noch vor kurzem. Er war viel wärmer geworden. Da musste das Leben durch die kleine Gestalt rinnen, wobei er nicht wusste, wie es entstanden war.
Theo war gebissen worden. Die Wunden malten sich an seinem Hals ab. Sie hatten geblutet, und wahrscheinlich hatte die kleine fremde Gestalt sogar sein Blut getrunken. Ähnlich wie ein Vampir es tat. Und jetzt war durch sein Blut die Kraft in den kleinen Körper zurückgekehrt.
So und nicht anders lagen die Dinge. Er hatte es in Wirklichkeit mit einem besonderen Vampir zu tun, dem das Blut des Menschen sehr gut mundete.
Das machte ihm nichts. Wichtig war, dass Edita weiterhin auf seiner Seite stand und er von ihrer Kraft etwas abbekam. Seine Hände zitterten, als er die kleine Gestalt umfasste. Er lächelte breit, hob sie an, und seine Augen strahlten dabei. Sie war so leicht und trotzdem für ihre Größe schwer.
Theo hielt sie vor sein Gesicht. »Wenn du sprechen könntest, wäre es das Größte für mich, das Allergrößte. He, kannst du mich verstehen? Weißt du, was ich meine?«
Das Kind sagte nichts. Zumindest kein Wort. Es meldete sich mit einem Röcheln, was Theo auch nicht besonders störte, denn er nahm es als Antwort auf seine Bemerkung hin und ging davon aus, dass er verstanden worden war.
Er strich über den Kopf der kleinen Gestalt hinweg wie eine Mutter, die ihr Kind trösten möchte. Er suchte in den Augen nach einer Botschaft für ihn, die jedoch nicht kam. Sie blieben kalt und abwartend. Und mit einem gewissen Lauern gefüllt.
»Komm, komm endlich. Wir werden jetzt zu dem gehen, dem du gehört hast. Der jetzt tot ist, weil er dich nicht hergeben wollte. Dabei hast du es bei mir viel besser. Man hätte dich nicht all die Jahre verstecken sollen. Du brauchst keine Sorge zu haben, dass ich dich verstecke. Das kommt nicht in Frage. Ich werde dir gegenüber immer offen sein. Wir sind Partner, und wir werden gemeinsam die Welt aus den Angeln heben.«
Er wäre froh gewesen, eine Reaktion zu erleben, doch die gab es nicht. Das Kind blieb ruhig. Es drang kein Laut aus seinem Mund, in den Theo Thamm hineinschaute. Er stellte fest, dass er dort keinen Speichel sah, was ihn wunderte. Doch er machte sich keinerlei Gedanken darüber.
Er sprach weiter auf den Balg ein. »Es wird mir zu eng, verstehst du? Wir werden ins Freie gehen und uns unter die Trauergäste mischen. Ich glaube fest daran, dass es auch dir
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