1307 - Die toten Frauen von Berlin
Tür wurde aufgezogen. Eine Frau mit Kinderwagen stand im Flur. Als sie sah, dass die Kabine besetzt war, zuckte sie zurück, winkte ab und lamentierte darüber, dass sie immer Pech hatte.
»So ist es mir auch oft ergangen«, murmelte Eve. »Ich habe schon oft die Treppe genommen. Nur nicht mit einem Kinderwagen.«
»Haben Sie schon mal an Heirat gedacht?«, fragte ich.
»Nein. Ich lebte mal vier Jahre in einer Beziehung. Das ging dann auseinander. Da waren wir beide froh, keinen Trauschein gehabt zu haben. Und Sie, John?«
»Ich bin Single.«
»Überzeugter?«
»Der Job lässt mir keine andere Wahl.«
Mit dieser Antwort gab sich Eve Sandhurst zufrieden.
An meinem Rücken merkte ich die Bewegung. Die fremde Frau wollte sich wohl drehen, was sie auch tat. Ich machte mich etwas schmaler und drehte mich dabei auch zur Seite weg. So konnte Eve Sandhurst über meine Schulter schauen.
Ich sah ihr Gesicht.
Ich sah die Veränderung darin.
Die weit geöffneten Augen, die Angst in den Pupillen, und ich las ihre Worte mehr von den Lippen ab, als dass ich sie hörte.
»Das ist eine von den toten Frauen…«
***
Es gab keinen Grund für mich, Eve nicht zu glauben. Nur zeigte ich es nicht und bewegte mich nicht. Die Überraschung drückte ich durch meine Blicke aus, und zwar so, dass sie mich auch begriff.
Eve hatte es schwer. Sie zitterte am gesamten Leib. Der Schock darüber, mit der nahen Vergangenheit konfrontiert zu werden, war in diesen Augenblicken einfach zu viel. Hinzu kam noch die enge Kabine. Sie musste ihr vorkommen wie ein bis zum Bersten gefülltes Grab.
Warum hatte sich die dunkelhaarige Frau bewegt? Ich streifte über meinen Rücken, und die Bewegung hielt an.
Zugleich stoppte der Lift!
Nein, nicht unten, sondern in der ersten Etage. Für kurze Zeit war ich abgelenkt, als die Tür von außen aufgezogen wurde. Zwei Frauen mit Kopftüchern wollten einsteigen und zuckten zurück, als sie erkannten, wie voll die Kabine war.
Das nahm ich nur am Rande wahr, weil ich mich auf meinen Rücken konzentrierte. Zugleich drehte ich mich leicht nach links.
Ich wollte nicht auffallen und die Frau misstrauisch machen.
Harry hatte nichts bemerkt. Er schaute nach wie vor nach vorn und zog selbst die Tür zu. Eine Etage weiter mussten wir aussteigen. Ich ging davon aus, dass dort etwas passierte. Nicht hier in der Kabine. Hier war es zu eng.
Durch den kurzen Halt war auch die fremde Frau abgelenkt worden. Ich hatte eine andere Position einnehmen können, und sah nun die Bewegung an ihrer Schulter. Der Riemen rutschte langsam über sie hinweg und dann am Arm entlang.
Etwas war mit der Tasche. Sie musste für die Frau wichtig sein.
In der Armbeuge blieb sie jetzt hängen, aber der Arm war auch etwas angewinkelt worden.
Geschafft!
Der Lift stoppte. Jeder war froh, die enge Kabine verlassen zu können. Das tat Harry als Erster. Er drückte die Tür auf und schritt in den Flur hinein. Die schwarzhaarige Frau folgte. Ich hätte jetzt auch gehen können, aber ich blieb noch stehen und hielt Eve Sandhurst zurück.
»Keine Sorge!«, flüsterte ich ihr zu.
Dann tat ich den ersten Schritt.
Ich hatte nur Augen für die fremde Frau, die ebenfalls schon draußen stand. Sie hätte auf die Haustür zugehen müssen, das wäre normal gewesen, aber sie tat es nicht. Sie hatte sich zwar vom Lift entfernt, blieb jedoch stehen und griff in die Tasche, als wollte sie dort etwas suchen.
Dann zog sie den Arm wieder hervor.
Ich hatte mich gedreht, war auf sie zugegangen und sah plötzlich die Pistole in ihrer rechten Hand. Harry Stahl war zu weit entfernt, um eingreifen zu können. Eve befand sich noch halb in der Kabine.
Es lag an mir, die Lage zu retten.
Die letzten Sekunden hatte ich wie zeitverzögert erlebt. Alles trat deutlich hervor. Ich sah die Waffe in der schmalen Hand, die sich bewegte, um auf ein Ziel einzuschwenken.
Ich startete.
Es war nur ein Sprung, und damit hatte ich auch die Frau überrascht. Bevor sie die Mündung auf einen von uns richten konnte, traf sie mein harter Schlag.
Die Handkante erwischte ihren Waffenarm. Sie schrie nicht, wie es normal gewesen wäre, sie sah nur erstaunt aus, aber sie ließ ihr Schießeisen nicht los.
Davon war ich selbst überrascht. Bevor sie zu einer zweiten Aktion ansetzen konnte, war ich ganz nahe bei ihr. Mit beiden Händen erwischte ich das rechte Handgelenk und ließ es nicht mehr los. Ich riss den Arm in die Höhe. Dabei drehte ich den Körper und hielt ihn auch
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