1307 - Die toten Frauen von Berlin
und erhielt von mir einen Stoß, der sie zur Seite schleuderte.
Mit der Vorderseite des Körpers prallte sie gegen die Wand. Wir hörten das Geräusch des Aufpralls. Die Gestalt drehte sich. Das verzerrte Gesicht war zu sehen. Sie schlug mit den Armen um sich wie ein flügellahmer Vogel. Dabei verletzte sie sich selbst mit der Klinge, die in ihren Körper drang. Sie ließ den Griff los. Das Messer blieb in der Hüfte stecken, und zwei Sekunden später lag sie wieder am Boden. Diesmal auf der Seite und leicht gekrümmt.
Eve Sandhurst begann zu weinen. Sie überkam wieder das große Zittern. Harry kümmerte sich um sie und zog sie zur Seite, während ich mich mit der Schwarzhaarigen beschäftigte.
Sie bewegte sich nicht. Das Gesicht zeigte eine Starre, wie ich sie nur von einer echten Leiche her kannte. Ich drehte sie so, dass ich den Hinterkopf in Augenschein nehmen konnte.
Ja, das war es.
Die große Wunde, die mein Kreuz hinterlassen hatte. Eingebrannt in die Kopfhaut und unter den Haaren versteckt. So etwas passierte bei einem normalen Menschen nicht. Was da passiert war, wies auf eine lebende Tote hin, die ich nun endgültig aus ihrem verfluchten Zustand erlöst hatte.
Ich ließ den Kopf los, der nach unten sank und gegen den Boden prallte. Harry hatte das Geräusch ebenfalls gehört. Er schaute zu mir, und ich nickte.
»Also doch«, sagte er.
»Ja, wir haben es hier mit einem weiblichen Zombie zu tun gehabt. Diese Frau wurde losgeschickt, weil sich die Person, die für alles verantwortlich ist, nicht selbst traute.«
»Und wer ist das?«
Ich hob die Schultern.
Harry wusste, was jetzt getan werden musste. Wir konnten die Leiche nicht hier liegen lassen. Sie musste abgeholt werden, und Harry war der Mann, der dafür sorgen konnte.
Eve Sandhurst stand leichenblass an der Wand. Sprechen konnte sie nicht. Irgendwo war es auch gut, denn ihr gewisse Erklärungen zu geben, war einfach zu hoch für sie. Die junge Frau würde nichts begreifen.
Ich kümmerte mich um die Leiche. Es war schon so etwas wie eine verzweifelte Suche nach einer Spur. In den Taschen der Jacke suchte ich nach irgendwelchen Hinweisen. Vielleicht gab es ja ein Dokument, das uns weiterbrachte.
Nein, einen Ausweis hatte sie nicht bei sich. Ich gab nicht auf und wühlte weiterhin in den Taschen nach, denn die befanden sich auch innen in der Jacke.
Und dort fand ich etwas. Einen kleinen Zettel, der zusammengedrückt worden war. – Das war fast wie im Film. Es war zwar nicht der berühmte Knopf, der einem Sherlock Holmes den Namen des Mörders bekannt gegeben hätte, doch als ich den kleinen Zettel mit spitzen Fingern auseinanderfaltete, da ahnte ich, dass ich einen Schritt weitergekommen war.
Ich fand einen Namen und eine Telefonnummer.
»Komm mal her, Harry.«
Stahl steckte sein Handy weg, mit dem er die Kollegen angerufen hatte, und blickte verwundert auf den Zettel.
»Hast du ihn bei der Frau gefunden?«
»Habe ich.«
»Gideon Schwarz«, murmelte er.
»Genau. Schon mal gehört?«
»Nein.«
»Und was ist mit der Telefonnummer?«
Harry zuckte mit den Schultern. »Die kenne ich auch nicht. Aber wir werden bald wissen, wer dahinter steckt.«
»Dann tipp die Nummer mal durch.«
Mein deutscher Freund holte wieder sein Handy hervor. Wir waren schon gespannt, wer dieser Schwarz war. Ich hätte auch Eve Sandhurst fragen können, aber sie war wohl kaum in der Lage, mir eine vernünftige Antwort zu geben. Noch immer stand sie wie leblos an der Wand, das Gesicht vom Weinen gerötet.
Mieter hatten das Haus in der letzten Zeit weder betreten noch verlassen. Das kam uns sehr gut zupass. Auch in der folgenden Minute wurden wir nicht gestört, und an Harrys Gesicht sah ich, dass er eine Verbindung bekommen hatte.
Er hörte zu. Ich vernahm die leise Stimme, ohne etwas zu verstehen. Aber Harry war zufrieden, als er die Verbindung unterbrach.
»Und?«
»Ich glaube, wir haben ihn.«
»Wer ist er?«
»Ein Künstler. Maler und Bildhauer. Man kann seine Werke besichtigen. Allerdings nur nach Voranmeldung.«
»Wo ist das?«
»Nicht mal zu weit von hier. Zwischen Gendarmenmarkt und Alexanderplatz. Ich denke, dass wir heute Abend nicht durch irgendwelche Lokale zu streifen brauchen.«
»Ja, das finde ich auch.« Ich wiederholte den Namen mit halblauter Stimme und drehte mich dabei zu Eve Sandhurst hin um.
Sie vernahm ihn ebenfalls, und ich fragte nach, ob sie etwas damit, anfangen könnte.
»Nein, nein, kann ich nicht…«
»Nie
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