1308 - Tödliche Schwingen
glaubten.
Bei ihr ging es um andere Dinge. Sie war eine Frau der Praxis, jemand, der mit beiden Beinen im Leben stand. Und das, obwohl sie in der letzten Zeit Dinge erlebt hatte, an die sie früher nicht mal im Traum gedacht hätte. Aber so war das Dasein eben.
Die Sonne wanderte. Maxine wollte sich nicht das Gesicht verbrennen lassen. Deshalb nahm sie im Nest immer wieder andere Positionen ein. Der Schatten war da, den nutzte sie auch aus, und ihre Gedanken glitten immer wieder hin zu ihrer Ziehtochter Carlotta.
Wie hatte sie reagiert? Was hatte sie überhaupt von der Entführung mitbekommen?
Sollte sie etwas gesehen haben und damit auch Bescheid wissen, war sie schlau genug, um gewisse Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Maxine Wells glaubte nicht daran, dass Carlotta sie würde befreien können, aber sie hatte bestimmt Ideen und erinnerte sich sicherlich daran, was Maxine in ähnlichen Situationen getan hatte.
Hilfe holen!
Nicht aus der Stadt, nicht aus der Nähe, nicht mal aus Schottland.
Es gab einen Freund in London, der schon öfters eingegriffen hatte.
Da lag der letzte Fall nicht mal lange zurück, als sie gemeinsam gegen die Zombiefrauen gekämpft hatten. Sie waren von einer Voodoo-Gräfin beeinflusst worden.
Da war John Sinclair auch erschienen, und so hoffte Maxine, dass Carlotta das Richtige getan hatte, was allerdings Zeit in Anspruch nehmen würde, denn John Sinclair konnte leider nicht fliegen, so sehr ihm Maxine Flügel gewünscht hätte.
Sie musste warten.
Auch Carlotta würde warten müssen.
Was passierte in der Zwischenzeit? Sie konnte sich vorstellen, dass Kurani nicht untätig sein würde. Er verfolgte bestimmte Ziele, und die hielt er auch ein.
Die Zeit verstrich. Sie wurde zu einer Qual. Die Mutation kehrte nicht zurück, aber die anderen Vögel umkreisten den Felsen. Manche flogen sehr nahe an das Nest heran, in das sich Maxine tief hineingeduckt hatte. Ihrem Gefängnis konnte sie nicht entkommen. Sie war so hilflos, und das führte bei ihr zur Depression.
Manchmal schloss Maxine die Augen. Sie geriet dann in einen Dämmerzustand, aus dem sie durch die Schreie der Vögel immer wieder hervorgeholt wurde. Am Himmel wanderte die Sonne in Richtung Westen weiter, wie ein gewaltiges Rad, das sich allmählich senkte.
Es war nicht mehr so warm. Die ersten kühlen Winde umrundeten die Felsen. Maxine begann zu frieren.
Es musste einfach etwas passieren. Davon ging sie aus. Das sagte ihr die Logik, aber was es war, das stand in den Sternen. Es gab für Kurani keinen Grund, sie einfach herzuschaffen und sie verhungern zu lassen. Wer die Mühe einer Entführung auf sich nahm, der verfolgte bestimmte Pläne.
Wieder schaute sie über den Rand des Nestes hinweg in östliche Richtung, und sie hatte dabei das Gefühl, dass sich ihre Augen entzündet hatten. Es mochte am Licht gelegen haben, denn sie schmerzten leicht. Sie war froh, nicht gegen die Sonne schauen zu müssen.
Stolz segelte der Schatten durch die Luft. Ein großer Vogel.
Deshalb auch aus größerer Entfernung zu erkennen. Er bewegte seine Schwingen kaum und ließ sich von den Aufwinden tragen, die ihn immer näher an den Felsen heranbrachten.
Für Maxine gab es nicht den geringsten Zweifel, dass sie bald Besuch bekommen würde. So war es auch. Der große Adler bewegte seine breiten Schwingen, und so dauerte es nur Sekunden, bis er heranschwebte.
Seine Größe erschreckte sie, denn er hatte seine Schwingen so weit wie möglich ausgebreitet. In dieser Gestalt würde er sich auf sie stürzen und sie zerhacken können wie eine Beute.
Sie schloss unwillkürlich die Augen, erlebte den von den Flügeln stammenden Luftzug und bemerkte auch, dass sich das Nest vor ihr bewegte, denn der Adler war gelandet.
Sie schaute wieder hin.
Der Vogel zog die Flügel ein. Er wurde kleiner, aber sein Gewicht blieb das Gleiche. Doch das Nest war stabil genug gebaut, es hielt ihm stand.
Maxine wollte den Kopf drehen, was sie nicht schaffte, denn sie schaute genau auf den Kopf des Vogels, der sich nicht bewegte und wie aus Stein gehauen schien, nur eben mit den polierten und stark glänzenden Augen, die starr auf Maxine gerichtet waren.
Sie schauderte zusammen, und sie hörte ein schrilles Krächzen aus der Kehle des Adlers dringen.
Er drängte sich in das Nest, und sie wich zur Seite.
Er verwandelte sich wieder. Er wühlte auf dem Boden des Nestes herum. Die Federn zogen sich zurück. Sie gaben die Sicht auf eine normale Menschenhaut frei.
Maxine
Weitere Kostenlose Bücher