131 - Fluch der Dämonen
nicht, wie es sonst bei ähnlichen Anlässen der Fall war. Sie hatten zuviel Respekt vor Tante Clara. Nur Maria, ein blondes, aufdringliches Mädchen - wie Martin fand - von zweieinhalb Jahren, war noch zu jung, um sich irgend etwas dabei zu denken, als sie sagte:
„Ein Zwerg aus Schneewittchen!"
Und dabei deutete sie auf Theo. Martin und die anderen fanden nun auch, daß Theo so aussah. Er hatte einen zu großen Kopf und ein
sehr altes
Gesicht, wie ein schon sehr großer Junge. Die Beine waren gegenüber seinem Körper etwas zu kurz.
Als die Kinder nun doch nicht anders konnten, als über diesen so treffenden Vergleich zu kichern, verzerrte sich Theos Gesicht. Er wandte sich um und rannte davon. Martin war sicher, daß er nun weinen mußte und sich aus Scham darüber versteckte.
„Das war nicht nett von dir, Maria!" sagte Tante Clara strafend zu der blonden Kleinen. „Das wird eine Strafe nach sich ziehen." Einige Kinder blickten schadenfroh. Tante Clara übersah es und blickte Martin an. „Du, Martin!" Der Junge zuckte zusammen; er fürchtete auch für sich ein Strafgericht, weil auch er den Neuen verspottet hatte - wenn auch nur in Gedanken. „Lauf Theo nach und sage ihm, daß das nicht so gemeint war. Du kannst ihm das doch mit gutem Gewissen sagen?"
„Ja, ja", beeilte sich Martin zu versichern. Er eilte davon, froh darüber, Tante Claras stechenden Blicken zu entkommen. Er hätte alles Mögliche versprochen, nur um diese Gunst zu erwirken.
Er fand den Neuen bei der alten Silbertanne, am Fuße des Rodelhügels.
Er war so unglücklich, daß er in seiner Wut über die erlittene Demütigung mit den Fäusten auf eine kaputte Rodel einschlug. Martin machte sich keine Gedanken darüber, warum diese Rodel so seltsam verformt war.
„Theo", rief er halblaut.
Der Neue hielt sofort inne. Eine Weile kauerte er bewegungslos da, dann drehte er sich langsam um. Er zeigte Martin sein verquollenes Gesicht. Aber seine Augen waren trocken.
„Hau ab!" zischte er.
„Es tut uns leid", brachte Martin hervor. Er hatte Angst, daß sich der um vieles stärkere Junge seine Wut an ihm auslassen könnte. „Maria ist ein dummes, kleines Mädchen. Sie weiß ja nicht, was sie sagt. Sie hat es nicht böse gemeint."
„Sie hat es gesagt!" zischte Theo wieder; das Funkeln seiner Augen machte Martin Angst. „Sie hat es gesagt, und dafür wird sie büßen. Alle werden es büßen!"
Martin wich langsam, Schritt um Schritt, vor dem großen Jungen zurück. Jetzt hatte er wirklich Angst vor ihm.
Plötzlich sagte Theo: „Wollen wir Freunde sein?"
Auf einmal war er wie ausgewechselt. Theo lächelte, und dieses Lächeln ließ vergessen, daß er ein altes Gesicht hatte. Es war das offene Lächeln eines kleinen Jungen. Martin faßte Zutrauen zu ihm. „Wir wollen alle deine Freunde sein. Ehrenwort!" versicherte Martin.
„Ich möchte dich als Freund", beharrte Theo. „Werden wir Blutsbrüder."
„Was ist das - Blutsbrüder?" fragte Theo. Durch den. Gedankenkontakt mit seiner Mutter hatte er einen großen Wortschatz, aber diesen Ausdruck kannte er nicht. Fast gegen seinen Willen sagte er: „Hört sich aber interessant an."
„Das ist es", behauptete Theo feierlich, und dabei zeigte sein Gesicht wieder den komischen Gesichtsausdruck. „Du wirst noch sehen. Los, gehen wir jetzt zu den anderen. Ich möchte es hinter mich bringen."
Theo ging voran und Martin folgte ihm. Eigentlich beeindruckte es ihn, daß ein so großer Junge ihm die Freundschaft angeboten hatte - die Blutsbruderschaft gar!
Tante Clara hatte die Kinder in einer Reihe Aufstellung nehmen lassen, und nun stellten sie sich jeder einzelne dem Neuen vor. Die Mädchen taten es mit einem artigen Knicks. Aber sie scheuten sich, Theo in die Augen zu sehen. Er wirkte zu erwachsen auf sie.
Danach ging es ans Schneemannbauen. Theo übernahm sofort das Kommando und begnügte sich in der Folge damit, den anderen zu sagen, was sie zu tun hatten. Er wußte alles besser. Er hatte seine eigenen Vorstellungen, wie ein Schneemann auszusehen hatte. Und die Kinder wagten es nicht, ihm zu widersprechen.
Tante Clara zog sich zurück, offenbar fand sie, daß Theo sie recht gut vertrat und die Kinder so gut wie sie an der Kandare hatte.
Einmal gab es einen Zwischenfall. Martin hörte das hysterische Kreischen eines Mädchens und eilte hin. Maria hockte im tiefen Schnee und plärrte. Theo war bei ihr. Maria war voller Schnee, und die Tränen gefroren ihr auf dem geröteten Gesicht, das
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