1311 - Die Teufelszunge
wispern.
Ich musste nicht lange nachdenken, um zu wissen, was da geschehen war. Der Künstler auf dem Podium hielt sich bei seinem Spiel nicht an die vorgegebenen Noten. Er wich von ihnen ab. Er interpretierte, und das bei einem klassischen Stück?
Auch als Laie wusste ich, dass man sich bei diesen Komponisten schon an das halten musste, was sie geschrieben hatten. Das tat Shols eben nicht.
Glenda war meine leichte Unruhe aufgefallen. »Ist was mit dir?«, hauchte sie gegen mein Ohr.
»Nein, nein…«
Ich wollte jetzt nicht abgelenkt werden und konzentrierte mich wieder auf den Musiker.
Er spielte, aber er war nicht mehr so locker wie beim ersten Stück. Er kam mir verkrampft vor. Sein Gesicht zeigte auch einen anderen Ausdruck.
Himmel, man konnte von einem Gesicht viel ablesen und auch hinein interpretieren. Ich dachte jetzt daran, dass Walter Shols ziemlich unglücklich über das Spiel war. Mir erschien es so, als wollte er das Stück gar nicht spielen, das wir jetzt hörten. Aber irgendetwas oder irgend jemand zwang ihn dazu.
Er spielte weiter. Er stand wie unter einem Zwang. Er bekam sein Mundstück nicht mehr von den Lippen. Ich machte meinen Hals lang, zu dem Tisch zu schauen, an dem die Person saß, der er zugewinkt hatte.
Dort tat sich nichts.
Dafür bei Walter Shols.
Er ging einen Schritt zurück und drehte sich noch in der Bewegung. So konnte er sich auf den hellroten Sessel fallen lassen und blieb dort sitzen.
Warum hatte er das getan? Fühlte er sich erschöpft? Hatte er sich zu viel zugemutet?
Als ich hinter mir ein scharfes Flüstern hörte, drehte ich den Kopf. Zwei Männer sprachen miteinander. Ich konnte die Worte verstehen. Sie mussten Fachleute sein, was die Musik anging – »Das ist doch nicht möglich. Was spielt der denn?«
»Keine Ahnung. Ich bin selbst überrascht. In das Programm jedenfalls passt es nicht.«
»Genau.«
»Warten wir mal ab. Vielleicht hat er sich eine besondere Überraschung ausgedacht.«
»Ich bin da skeptisch. Das passt alles nicht so recht zusammen, denke ich mal.«
Das Gespräch zwischen den Männern verstummte. Ich nahm wieder eine normale Haltung ein. Glenda allerdings war meine Reaktion schon aufgefallen. Als sie ihre Stirn runzelte, wusste ich, dass sie mich was fragen wollte.
»Probleme, John?«
»Nein, nicht ich. Es liegt an Shols.« Ich flüsterte ihr ins Ohr: »Hinter mir wundern sich zwei Fachleute über sein Spiel. Es passt nicht zu dem, was auf dem Programm steht. Da scheint es einige Diskrepanzen zu geben. Frage mich aber nichts Näheres.«
»Schon gut. Und was sagst du dazu?« Glenda warf einen raschen Blick zu dem Künstler.
Walter Shols saß noch immer. Er hielt sein Instrument an die Lippen gedrückt. Er spielte auch. Nur nicht mehr mit der leichten Hand wie wir es zu Anfang erlebt hatten. Er tat sich schwer. Beim Spielen hatte er sich bewegt, das passierte auch jetzt, wo er saß, doch wer genau hinschaute wie ich, der bemerkte schon, dass er Probleme bekommen hatte. Der Schweiß auf seinem Gesicht war dicker geworden. Er bewegte zudem seine Augen unruhig und drehte öfter den Kopf nach rechts, um dorthin zu schauen, wo sich die breitere Treppe befand.
Dort passierte nichts. Es blieb alles normal, nur dass Glenda mich anstieß. »He, ich warte auf eine Antwort.«
»Die kann ich dir nicht geben. Ich bin kein Fachmann für diese Musik. Mir kommt es auf den Künstler an, und der scheint tatsächlich Probleme zu haben.«
»Das kann sein.«
Es war mal wieder Zeit, in mich hineinzuschauen. Sie wissen ja, dieses Bauchgefühl. Manchmal schickt es mir eine Warnung. Die wollte ich auch jetzt erfahren. Ich konnte das Unheil zwar nicht riechen, aber ich war auch nicht locker, und ich ging davon aus, dass der Abend nicht so verlaufen würde, wie er eigentlich gedacht war.
Da brauchte ich nur die Kleinigkeiten zu addieren.
Mir fiel wieder ein, wie der Trompeter genannt worden war. Die Teufelszunge. Wenn ich näher darüber nachdachte, bekam dieser Begriff schon einen faden Beigeschmack.
Bill Conolly war nichts aufgefallen. Zumindest reagierte er nicht.
Er schaute und hörte weiterhin zu und hatte es sich bequem gemacht und die Beine ausgestreckt.
Plötzlich setzte Shols sein Instrument ab. Er wirkte erschöpft, schaute ins Publikum und lächelte irgendwie verhalten und etwas entschuldigend. Dann holte er sein Tuch aus der Innentasche und wischte den Schweiß von seiner Stirn.
Es war im Publikum eine gewisse Stille eingetreten. Man schaute
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