1313 - Der falsche Engel
zunächst tief durchatmete. Danach drückte er den einen Türflügel leise zu. Seine Befürchtung, nicht allein zu sein, bestätigte sich leider. Das Catering-Personal hielt sich noch immer in diesem Raum auf, denn nach der Seance gab es ebenfalls noch etwas zu trinken und die restlichen Fingerfoods.
Der Reporter wollte nicht, dass sein Gespräch mit angehört wurde. Mit einer gemurmelten Entschuldigung auf den Lippen ging er nach draußen, froh darüber, dem steifen Butler nicht in die Arme gelaufen zu sein.
Er blieb auf der obersten Treppenstufe stehen. Es war fast dunkel geworden. Der kleine Park lag vor ihm als gespenstische Kulisse.
Hin und wieder spielte der Wind mit den noch jungen und kleinen Blättern der Bäume, ohne bei ihnen jedoch ein Rauschen zu hinterlassen.
Das Handy hielt Bill bereits in der Hand. Jetzt konnte er nur hoffen, dass John seinen Apparat nicht ausgestellt hatte.
Das Pech widerfuhr ihm nicht.
Zum ersten Mal seit längerer Zeit huschte wieder ein Lächeln über seine Lippen…
***
»Bill«, sagte ich überrascht, als ich wieder die Stimme meines Freundes hörte.
»Du hast dich nicht getäuscht.«
»Und? Warum rufst du an?«
»Es passt dir nicht, wie?«
»Nicht so recht.«
»Kann ich mir denken, wenn man in der Nähe einer Frauenleiche steht und eine andere Frau die Begleiterin ist, die aussieht wie die Tote, aber noch lebt.«
Ich hatte jedes Wort gehört und glaubte, dass mich der große Klopfer erwischt hatte.
»Jetzt bist du baff, nicht?«
»Moment mal, Bill«, sagte ich und wechselte den kleinen Apparat von meinem linken ans rechte Ohr. »Hast du zufällig deinen Geist auf die Reise geschickt, damit er alles sehen kann?«
»Dann stimmt es also doch, was ich gesagt habe?«
»Alles. Perfekt.«
»Nun ja…«
Er wollte sicherlich noch etwas sagen, aber mich hatte er inzwischen auf Tausend. Ich fühlte mich wie ein Rennwagen, dessen Motor soeben gestartet worden war, der aber noch auf das Senken der Startflagge wartete.
»Was ist passiert, Bill? Wieso weißt du, was ich in meiner Umgebung sehe. Wie hast du meinen Aufenthaltsort herausgefunden? Ich habe nicht mal Suko Bescheid gegeben und bin mit Lorna Peel allein hier.«
»Und wie heißt die Tote?«
»Harriet Peel.«
»Super, John, dann stimmt alles.«
»Nein, verflucht. Nichts stimmt. Woher…«
»Darf ich das erklären?«, fragte Bill mit ruhiger Stimme.
»Ich bitte darum.«
»Du musst mir versprechen, mich nicht zu unterbrechen.«
»Ich werde mir Mühe geben.«
»Dann hör zu.«
Und ich hörte zu. Was Bill Conolly mir sagte, klang durchaus wahrscheinlich, aber auf einer gewissen Ebene auch unwahrscheinlich, denn nachzuvollziehen war das eigentlich kaum. Ich kannte diesen Lucio nur aus den Erzählungen der Lorna Peel. Jetzt musste ich mir eingestehen, dass er mich kannte, jedoch nicht genau wusste, wer ich wirklich war. Er hatte etwas herausgefunden. Er hatte gespürt, dass ich ihm nicht passen konnte und womöglich Probleme mit mir bekommen würde.
»Und was sagst du jetzt, John?«
»Das ist nicht einfach.«
»So denke ich auch.«
»Wie schätzt du ihn ein?«
Bill unterdrückte das leise Lachen nicht. »Ich habe mir gedacht, dass du diese Frage stellen würdest. Ich kann dir leider keine konkrete Antwort geben. Ich weiß nicht, wie ich ihn einschätzen soll. Es ist zu schwer, hinter seine Fassade zu schauen.«
»Wir können aber davon ausgehen, dass er ein normaler Mensch ist – oder?«
»Können wir das wirklich, John?«
»Das musst du wissen.«
»Er sah zumindest so aus. Es lief ja alles normal. Typisch für eine Seance. Bis er plötzlich auf den falschen Weg geriet, und jetzt muss ich sagen, dass du ihn abgelenkt hast.«
»Ha, ich?«
»Wer sonst?«
»Bill«, sagte ich leise, »ich denke da mehr an mein Kreuz. Verstehst du? Er muss es gespürt haben, und wir können schon jetzt behaupten, dass er auf der anderen Seite steht. Zudem ist er ein Mörder. Das dürfen wir nicht vergessen.«
»Bist du sicher?«
»So gut wie. Ich war kein Zeuge, doch es gibt einfach keine andere Lösung.«
Bill blieb weiterhin neugierig. »Und wie bist du überhaupt mit dieser jungen Frau zusammengekommen?«
»Das ist ebenfalls eine recht fantastische Geschichte.«
»Ich habe noch Zeit.«
Das wusste ich ja. Da Bill zu einem weiteren Mittelpunkt des Falls geworden war, sah ich keinen Grund, ihn nicht voll und ganz einzuweihen.
Jetzt war er es, der in den folgenden Minuten zuhörte. Ich erzählte ihm alles, was
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