1313 - Der falsche Engel
mir widerfahren war, und er konnte nur staunen.
Aus seinem Mund drang hin und wieder der Ansatz einer Frage, die ich aber schnell erstickte.
»Also haben wir wieder etwas gemeinsam am Bein!«, fasste ich zusammen.
»Du sagst es.«
»Und weiter?«
»Du bleibst am Ball. Ich natürlich auch. Wobei ich davon ausgehe, dass dieser Lucio noch etwas mit meinem Schützling vorhat. Da ist auch der Name einer Gruppe aufgetaucht, die sich Freunde der Engel nennt. Kannst du damit etwas anfangen?«
»Tut mir Leid, davon habe ich noch nie etwas gehört. Woher weißt du das?«
»Lorna Peel hat diese Gruppe genannt.«
»Ich bin überfragt. Aber ich könnte nachhaken.«
»Ja, tu das. Eines haben wir vergessen. Mich würde wirklich interessieren, wo du bist. Das hast du mir bisher nicht gesagt.«
Er gab mir die Adresse durch.
»Das ist ziemlich weit von hier.«
»Wieso? Willst du kommen?«
»Wahrscheinlich. Ich denke nicht, dass die Musik hier spielt. Es sei denn, dieser Lucio verlässt die Sitzung und macht sich auf den Weg zu dieser Gartenanlage.«
»Das ist durchaus möglich. Ich gehe wieder rein, und wir bleiben in Verbindung.«
»Versteht sich, Alter. Und gib verdammt gut Acht. Mit diesem Lucio ist nicht zu spaßen.«
»Weiß ich selbst.«
Unser Gespräch war beendet, und ich atmete zunächst mal tief durch. Bills Anruf hatte mich aus einer gedanklichen Lethargie gerissen, denn ich hatte nicht gewusst, wie es weitergehen sollte.
Das tote Mädchen und seine Schwester waren einfach zu wenig gewesen.
Hinzu aber kam Lucio.
Bisher war er nur ein Name gewesen. Ein Phantom. Das Lauern im Dunkeln, wie mir Lorna gesagt hatte. Allmählich hatte er Gestalt angenommen. Ich wusste jetzt, dass er aus Brasilien stammte und ein Medium war. Jemand, der es schaffte, die Verbindung zwischen zwei Ebenen, dem Diesseits und dem Jenseits, herzustellen, ein Erbauer von Brücken. Mir war auch bekannt, dass es diese sensitiven Menschen gab. Allerdings waren sie rar, denn die meisten Personen, die sich als so etwas ausgaben, konnte man einfach nur als Scharlatane und Betrüger ansehen.
In diesem Fall nicht. So würden wir uns auf eine harte Auseinandersetzung einstellen müssen.
Ich wäre natürlich gern ohne den Ballast einer gewissen Lorna Peel gewesen. Doch wohin mit ihr? Ich konnte sie nicht einfach wegschicken und ihrem Schicksal überlassen.
Nein, da musste es schon eine andere Möglichkeit geben, und die lag auf der Hand. Lorna musste bei mir bleiben, auch wenn sie dem Mörder ihrer Schwester begegnete.
Kein einfaches Schicksal. Ich würde sie behutsam darauf vorbereiten müssen.
Ich warf einen letzten Blick durch die Anlage. Sie dunkelte immer mehr ein. Über die Leinwand des Himmels schoben sich die dunklen Vorboten der Nacht. Es war auch etwas kühler geworden.
Jenseits des Geländes leuchteten die Lichter wie ferne kalte Augen.
Langsam drehte ich mich wieder um.
Da hörte ich aus der Laube Lornas Schrei!
***
Bill Conolly hätte nie in seinem Leben gedacht, dass sich die Dinge so entwickeln würden. Okay, er war Griffins Einladung mit gemischten Gefühlen gefolgt, dass jedoch sein bester Freund John Sinclair noch mitmischen würde und dass es sogar zu einem Mord gekommen war, hätte er nicht im Traum gedacht.
War alles Zufall gewesen oder hatte der Gastgeber etwas gewusst und die Dinge entsprechend gelenkt?
Er kannte Phil Griffin nicht so gut. Sie waren einige Male zusammengetroffen und hatten geschäftlich miteinander gesprochen.
Das war auch alles gewesen. Was wirklich hinter ihm steckte und welche Pläne er verfolgte, war Bill unbekannt.
Oder basierte alles nur auf einem Zufall?
Das hätte auch sein können, aber der Reporter war ein Mensch, der nicht so sehr an Zufälle glaubte. Wenn etwas wie Zufall aussah, steckte des Öfteren auch Methode dahinter.
Der Reporter drehte sich wieder um. Er wollte zurück ins Haus und würde diesen Guru nun mit anderen Augen sehen, das stand für ihn fest. Nicht mehr so harmlos. Mehr als Mörder.
Er musste wieder klopfen. Diesmal öffnete nicht der arrogante Butler, sondern ein Mädchen vom Catering-Service.
Bill bedankte sich und ging an ihr vorbei. Er war in seine Gedanken versunken, weil er darüber nachdachte, wie er sich dem Guru gegenüber verhalten sollte. Völlig objektiv konnte er ihm nicht mehr gegenübertreten, und deshalb würde er versuchen müssen, ein guter Schauspieler zu sein.
Zunächst konnte er sich den Guru aus dem Kopf schlagen, denn die rechte Hälfte
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