1313 - Der falsche Engel
was Sie durchleiden. Ich bin ebenfalls von einer Gefühlswelt überschwemmt worden, aber ich kann Ihnen mit gutem Gewissen sagen, dass Hass keine Lösung ist. Hass bedeutet auch ein unüberlegtes Handeln. Hass bremst die Logik. Hass überschwemmt alles und kann deshalb ins eigene Verderben führen.«
»Worte!«, schrie sie mich an. »Nichts als leere Worte, verflucht noch mal! So redet ein Prediger, aber keiner, der…«
»Das stimmt nicht!«
»Was ist denn wahr?« Sie hatte wieder geschrien. Speicheltröpfchen tanzten vor ihrem Mund.
»Die Wahrheit ist, dass ich mich um Lucio kümmern werde, Lorna. Das verspreche ich.«
»Ja, ja, versprechen kann ich vieles. Sie sind Polizist. Sie werden versuchen, ihn festzunehmen, um ihn dann vor Gericht zu stellen. Darüber kann ich nur lachen. Ich will ihn tot sehen, verstehen Sie? Tot, tot, tot!« Bei jedem Wort schlug sie mit der Faust gegen die Tür, wollte noch mehr sagen oder auch handeln, doch sie hatte keine Kraft mehr. Sie drehte sich nach rechts und stützte sich mit der Schulter an der Tür ab.
Ich wartete, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Danach versuchte ich, vernünftig mit ihr zu reden und sprach sie auch mit sehr ruhigen Worten an.
»Bitte, Lorna, Sie müssen mir einfach glauben, dass ich den gleichen Weg verfolge wie Sie. Aber der Hass ist keine Lösung. Man darf sich auch in einem solchen Fall nicht von seinen Gefühlen leiten lassen. Sie müssen anders denken.«
»Wie denn?«
»Nicht so emotional. Ich weiß genau, dass es schwer für Sie sein wird, aber verlassen Sie sich auf mich. Außerdem dürfen wir Lucio nicht unterschätzen. Ich weiß nicht genau, wer er ist, aber ich gehe davon aus, dass wir es bei ihm mit keinem normalen Menschen zu tun haben. Er besitzt möglicherweise Kräfte, die wir nicht einmal ahnen. Ich habe es nur gespürt und auch gesehen, denn die Leiche Ihrer Schwester ist nicht aus eigener Kraft in die Höhe gestiegen. Dafür hat jemand gesorgt, der eben mit besonderen Kräften ausgestattet ist. Mit übernatürlichen, da bin ich ehrlich. Ich zweifle, ob Sie, Lorna, dagegen ankommen. Ich möchte nicht, dass Ihnen das Gleiche widerfährt wie Ihrer Schwester.«
Meine Worte hatten gewirkt. Sie war ruhig geworden, und sie blieb auch ruhig.
»Aber ich gehe mit!«, sagte sie.
Am liebsten hätte ich dagegen gesprochen, doch mein Gefühl sagte mir, dass Lorna Peel sich wie eine Klette an mich hängen würde, sodass ich sie nur mit Gewalt abbekam.
Das wollte ich nicht. »Also gut, ich werde Sie mitnehmen. Aber bitte, keine eigenmächtigen Aktionen.«
»Ich werde mich bemühen.«
So richtig überzeugt war ich davon nicht. Aber was hätte ich machen sollen? Außerdem war Lucio im Moment unwichtig. Viel dringender brauchten wir einen fahrbaren Untersatz, der uns so schnell wie möglich ans Ziel brachte.
Für mich war es ein Notfall. Auf ein Taxi wollte ich mich nicht verlassen, und deshalb rief ich die uniformierten Kollegen an. Ich wollte, dass man uns abholte, denn das gute alte Blaulicht war noch immer die beste Möglichkeit, das Ziel so schnell wie möglich zu erreichen…
***
Bill zog den Flügel der Tür auf, um den Raum zu betreten, als er den Schrei hörte.
Sofort stoppte er.
Griffin konnte nicht so schnell anhalten. Er prallte gegen ihn. Er wollte etwas fragen, aber er brauchte nur an Bill vorbeizuschauen, um die Lösung zu sehen.
Das Licht der Kerzen schuf auch weiterhin diese warme und wunderbare Atmosphäre, in der sich ein Mensch geborgen fühlen konnte. Jetzt nicht mehr, denn der heftige Schrei hatte alles verändert. Lucio hatte ihn ausgestoßen.
Er saß auch jetzt auf seinem Platz und hatte seine Arme in die Höhe gerissen. Er schrie nicht mehr, jetzt hörten alle Anwesenden nur noch das Echo.
Bill und Griffin trauten sich nicht, die Schwelle zu übertreten. Sie beobachteten die Szene aus einer gewissen Distanz.
»Was hat er, Bill?«, fragte Griffin.
»Keine Ahnung.«
»Ich sehe nicht, dass etwas passiert ist. Die Leute sitzen da wie erstarrt und…«
»Schauen Sie mal auf die Pyramide.«
Griffins Kopf ruckte nach vorn.
»Nun ja, sie hat sich verändert. Sie ist…«
»Verformt.«
»Genau!«
»Nur noch ein Klumpen.«
»Und wie kommt das?«
Bill hob die Schultern. »Ich denke, dass uns die Antwort nur dieser Lucio geben kann. Der aber wird sich davor hüten, glaube ich. Hier ist etwas passiert, mit dem auch er nicht rechnen konnte.«
»Aber was, Bill? Keiner der Engelfreunde hat eingegriffen. Außerdem
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