1314 - Im Bann der schönen Nymphe
Treppe zu.
Der Blick nach unten in die Halle.
Sie war leer, aber sie hörte jetzt die Stimme des Kindermädchens und auch die eines Mannes.
Der Weg war ihr versperrt. Sie musste wieder zurück. Ein Haus wie dieses besaß nicht nur einen Durchschlupf. Es gab noch einen zweiten Weg. Die schmale Treppe mit dem alten Eisengeländer. Sie endete in der Nähe einer hinteren Tür, nicht weit von der geräumigen Küche entfernt. Genau das war das neue Ziel.
Auch diese Stufen überwand sie sehr leise. Sie atmete erst wieder ein, als sie vor der schmalen Hintertür stand. Jenny wusste, dass sie nicht abgeschlossen war. Zumindest nicht tagsüber. Das passierte erst am Abend, wenn Amelie Weber abschloss.
Fast hätte sich Jenny auf die Zunge gebissen, als sie das Quietschen der alten Angeln vernahm. Ihr Vater hatte sie immer ölen wollen, doch aus diesem Versprechen war bis heute nichts geworden.
Jedenfalls zog Jenny die Tür nur so weit auf, um hindurchschlüpfen zu können. Der nächste Schritt brachte sie ins Freie und auch in die Nähe der Bäume. Es war noch nicht der Wald, doch auch an den Seiten des Grundstücks reckten sie sich in den Himmel. Eine weiche Erde, auf der grüner Rasen wuchs, durchwebt von Gänseblümchen und Klee. Sie glaubte zwar nicht, dass sich an der Rückseite des Hauses jemand aufhielt, doch Jenny wollte auf Nummer Sicher gehen und nahm einen ungewöhnlichen Weg in den Wald.
Sie bewegte sich an der Seite des Grundstücks entlang, wo sie auch wild wachsene Büsche schützten. Jetzt war sie froh, dass sie die Schuhe trug. Das weit geschnittene Nachthemd presste sie mit beiden Händen gegen ihren Körper. Sie wollte nicht, dass es wehte und sich der Stoff irgendwo verfing.
Das Glück stand ihr zur Seite. Als sie den richtigen Wald erreichten und in ihn eingetaucht war, blieb sie stehen, um erst mal tief Atem zu holen.
Auf ihrem Gesicht lag ein dünner Schweißfilm. Die Luft hatte sich irgendwie hier zwischen den Bäumen verändert. Sie kam ihr feuchter und auch schwüler vor. Wenn sie sich drehte und tiefer in den Wald hineinblickte, hatte sie das Gefühl, als stecke er voller Leben, das sich noch nicht zeigte und sich nur auf dem Weg befand.
Irgendwo verborgen lauerte es und wartete auf ein bestimmtes Ereignis.
Bin ich das?, fragte sie sich.
Niemand gab ihr eine Antwort. Sie selbst auch nicht. Jenny wusste nur, dass sie ihr Ziel noch nicht erreicht hatte. Noch lag der gefährlichste Teil der Strecke vor ihr.
Nur kurz dachte sie an Amelie und deren Besucher. Himmel, wenn die gewusst hätten, was hier ablief, dann…
Nein, nein, den Gedanken zog sie nicht bis zum Ende durch. Sie wollte nicht mehr warten und suchte nach ihrem Pfad, der sie sicher bis an das Ziel brachte.
Einfach war es nicht. Sie befand sich in einem Teil des kleinen Waldes, der so gut wie nie betreten wurde. Es war schwer, sich dort den Weg zu erkämpfen. Außerdem wurde die Sicht schlechter. Es breitete sich so etwas wie ein Zwielicht aus, durch das sie sich bewegen musste. Kalter Schweiß lag jetzt auch auf ihrem Nacken. Das Unterholz raschelte oder es knackte auch mal in ihm etwas zusammen, als sie es durchschritt und endlich die ensprechende Richtung eingeschlagen hatte, sodass sie auf den schmalen Pfad oder Wildwechsel traf, der den Wald durchschnitt.
Von nun an war der Weg bis zum Teich nicht mehr weit.
Jenny verließ den Wald und sah das runde Gewässer vor sich liegen. Es war leer, und sie blieb stehen, um wieder Luft zu schöpfen. Ihr Herz schlug schneller.
Konnte man dem Teich trauen?
Noch war nichts zu sehen. Auch der Wind hielt sich zurück.
Wieder lag die Oberfläche wie glatt gestrichen vor ihr. Darunter war kein Gesicht zu sehen, und auch kein Skelett drückte seine grüne Knochenklaue aus dem Wasser.
Wo steckte Jamilla?
Das Mädchen suchte so gut wie möglich die nähere Umgebung ab, ohne etwas zu entdecken.
Aber sie war da. Das spürte sie. Vielleicht nicht im Teich, sondern versteckt im Wald.
Bis zum Ufer hatte sie noch zwei Schritte zu gehen. Jenny überlegte, ob sie die Distanz überwinden sollte, dann entschied sie sich dagegen. Wenn Jamilla etwas von ihr wollte, würde sie sich zeigen und es ihr auch sagen.
Das Rascheln hörte sie von links.
Sie drehte den Kopf.
Noch sah sie nichts, weil dort dichtes Buschwerk stand. Aber das Buschwerk war in Bewegung geraten. Es gab plötzlich eine Lücke, die für die Gestalt wie geschaffen wirkte. Jamilla selbst war nicht zu hören, dafür zu sehen. Sie
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