1314 - Im Bann der schönen Nymphe
Moment hielt Jenny den Atem an. Sie dachte daran, dass es nicht wahr sein konnte. Für sie war das nicht zu begreifen, aber sie sträubte sich auch nicht dagegen.
»Ich bin wieder da, Jenny…«
»Wo denn?«, flüsterte sie, ohne allerdings eine Antwort zu bekommen. Da zeigte sie sich etwas enttäuscht.
»Warte ab.«
»Ja, ja, schon…«
»Halte dich bereit…«
»Ich warte.«
Die Stimme war weg, und Jenny musste tief durchatmen. Sie hatte die Stimme verstanden und wusste jetzt mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Jamilla mit ihr Kontakt aufgenommen hatte.
Noch blieb sie im Bett sitzen. Der Kopf war leicht nach links gedreht. Sie wollte den Kontakt mit der Fensterscheibe auf keinen Fall verlieren.
War da etwas?
Eine Bewegung konnte sie erkennen. Die aber wurde wieder durch den Wind produziert, der mit den Zweigen der Bäume spielte und sie immer wieder in andere Richtungen wiegte.
Das hörte auf.
Etwas anderes erschien.
Ein grünbleiches Gesicht mit dunklen und dunkel umränderten Augen.
Komisch, Jenny erschrak nicht mal. Sie dachte auch nicht darüber nach, wie es Jamilla geschafft hatte, bis in die erste Etage zu gelangen, sie war nur froh, dass sie da war…
***
In den nächsten Sekunden sah sie nichts Neues, und sie selbst tat auch nichts. Jenny blieb sitzen, ohne den Blick vom Fenster lösen zu können. Die Augen hielt sie weit offen. Ihr kleiner Mund war zu einem Lächeln verzogen. Das Mädchen fühlte sich in diesen Augenblicken regelrecht erleichtert und sogar beschützt.
Das Gesicht blieb in der Höhe. Es bewegte sich nicht. Bis auf die Lippen, die hin und wieder zuckten. Aber Jenny kam trotzdem damit zurecht, denn sie las die Botschaft in den dunklen Augen.
Da stand die Frage.
Kommst du?
An irgendwelche Warnungen dachte sie nicht mehr. Mochte Amelie denken, was sie wollte, das hier ging sie nichts an. Das war nur eine Botschaft für sie.
Jenny begriff.
Sie drückte die Decke zurück, schwang die Beine zur Seite und stieg in ihre flachen Schuhe. Sie trug das helle Nachthemd mit den kleinen Sternen und Halbmonden auf dem Stoff. Es machte ihr nichts aus, wenn sie damit ging. Für sie war es in dieser Lage wie ein Kleid.
Sie hoffte nur, dass Amelie nicht das Zimmer betrat, um nach ihr zu sehen. Dann wäre alles aus gewesen. Den Weg, den sie jetzt eingeschritten hatte, musste sie allein weitergehen.
Bis zum Fenster war es nicht weit. Drei kleine Schritte reichten Jenny aus. Dicht vor der Scheibe blieb sie stehen. Sie schaute geradewegs in die dunklen Augen hinein. Dort waren die Pupillen nach oben gerutscht und schienen in die Augäpfel eintauchen zu wollen. Das Weiße befand sich nur in der unteren Hälfte.
Schwarz und hell!
Ein böser Blick!
Jenny störte sich nicht daran. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Den rechten Arm streckte sie in die Höhe und umfasste den Fenstergriff. Eine kurze Drehung, der leichte Ruck, und das Fenster war offen.
Sie zog es nicht ganz auf, weil die Stimme der anderen Person sie daran hinderte.
»Nicht weiter, meine Liebe. Bitte nicht…«
Jamilla hatte normal gesprochen und den richtigen Ton getroffen, denn Jenny gehorchte.
»Was soll ich tun?«
»Mich begleiten.«
»Wohin?«
»Nach draußen.«
Jenny Mason presste für einen Moment die Lippen zusammen.
Ihre Vorstellungen waren nicht eben positiv. Sie dachte daran, welche Gefahren draußen lauerten. Obwohl ihr das Ziel noch nicht gesagt worden war, lag es auf der Hand, dass sie in den Wald gehen würden und damit auch den Teich erreichen.
»Was soll ich denn tun?«
»Wir werden uns draußen treffen. Aber bitte, nimm nicht den normalen Weg. Du musst Acht geben. Ich habe zwei Männer gesehen, die aus ihrem Auto gestiegen sind.«
»Die Hintertür?«
»Ja…«
»Gut, ich komme.«
Jamilla zeigte ein Lächeln. Sie war sehr zufrieden. Sie zog sich zurück, und Jenny traute ihren Augen kaum, als Jamilla in die Tiefe sackte. Sie hielt sich nirgendwo fest. Sie war ebenso geheimnisvoll abgetaucht wie sie erschienen war.
Jenny Mason hatte einen Auftrag mit auf den Weg bekommen.
Und den würde sie erfüllen. Sie zog sich auch nicht um. Die Zeit wollte sie nicht verlieren. In ihrem Innern stand alles auf Sturm. Sie zitterte und fieberte der neuen Lage entgegen, aber sie ließ auch Vorsicht walten, als sie die Tür so leise wie möglich öffnete.
Und auf leisen Sohlen trat sie auch über die Schwelle. Im Flur blieb sie nicht stehen. Mit schnellen, aber auch leisen Schritten huschte sie auf die
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