1314 - Im Bann der schönen Nymphe
hergegangen.«
»Das war Jenny!«, rief das Au-pair-Mädchen, »ganz bestimmt. Sie ist in den Wald hineingegangen und hat ihn auch wieder auf dem gleichen Weg verlassen.« Sie schaute uns an, als wollte sie eine Bestätigung dafür bekommen.
»Schon klar«, sagte ich.
Suko hatte sich wieder aufgerichtet. Er lächelte uns zu. »Ab jetzt ist es einfach«, erklärte er, »wir brauchen der Spur nur zu folgen und werden den Teich finden.«
»Okay.«
Wieder nahmen wir Amelie in die Mitte. Nur gingen wir jetzt hintereinander, weil das Gelände nichts anderes zuließ. Suko hatte die Führung übernommen. Je tiefer wir in den Wald gerieten, desto mehr verlor sich das Licht. Bald überwogen die Schatten, und ich spielte schon jetzt mit dem Gedanken, die kleine Lampe einzuschalten.
Der Wald hielt uns fest. Die Bäume sahen sehr alt aus. Moos hatte sich an den Stämmen hochgearbeitet und sich auch in den Rillen der Rinde festgesetzt. Eine gewisse Feuchtigkeit war ebenfalls zu spüren. Sie legte sich auf unsere blanken Körperstellen, und wir spürten sie auch, wenn wir tief durchatmeten.
Es roch nicht faulig oder alt, sondern nach dem frischen Maigrün des Frühlings, was mir so gefiel. Der Wald war nicht an allen Stellen gleich dicht. Es gab auch Flecken, die lichter und demnach heller waren. Wir kamen trotz einiger Hindernisse gut voran, denn dieser schmale Pfad war recht annehmbar zu gehen.
Dann erlebten wir eine kleine Veränderung. Der Geruch veränderte sich. Die Frische schwand dahin. Für sensible Nase war das nahe Wasser zu riechen.
Auch Amelie hatte die Veränderung wahrgenommen. »Ha, wir sind gleich da«, flüsterte sie.
Die Bäume verloren in diesem Bereich an Höhe. Niederwald rahmte uns ein, Gesträuch und Gestrüpp wuchsen wieder als Hindernisse. Wir schauten über diesen natürlichen Wall hinweg und sahen vor uns etwas Dunkles, Rundes liegen, das trotz seiner Farbe einen leichten Schimmer abgab.
»Der Teich«, sagte Amelie.
Sie stieß den Atem tief aus. Erleichtert hörte es sich nicht an. Jeder von uns wollte so schnell wie möglich an den Teich. Amelie Weber erreichte ihn als Erste.
Zuerst hörten wir ein Kieksen. Dann einen leisen Schrei. »Da, da…«, flüsterte sie und zeigte mit zitterndem Arm auf den Teich.
Das Licht war schlecht, aber nicht so schlecht, als dass wir nichts hätten sehen können.
Noch recht dicht unter der Wasserfläche trieben zwei Körper.
Beide bewegten sich schräg durch die grüne Brühe. Die Umrisse zerflossen etwas. Wir sahen einen nackten Frauenkörper und die Gestalt eines Kindes.
Amelie Weber konnte nur noch flüstern. »O Gott… o Gott … das ist Jenny …«
***
Das Tor ist offen…
Jamilla hatte wieder nicht gesprochen. Trotzdem waren ihre Worte von Jenny Mason gehört worden. Diesmal dachte sie nicht darüber nach, wie sie alles verstehen konnte, für sie war das Erleben wichtiger. Sie kam sich als Teil einer Geschichte vor, die sie sonst immer nur aus Büchern kannte.
Wo befand sich das Tor?
Jenny sah es nicht, sie erlebte es nur. Was in den nächsten Sekunden passierte, das nahm sie nicht mit dem Gefühl für Zeit hin, obwohl sie es intensiv wahrnahm. Doch es war die Wahrnehmung durch eine Glasbrille, die dafür sorgte, dass eine Perspektive verzerrt wurde. Um sie herum befand sich das trübe Wasser. Auch das empfand sie nicht mehr als solches, mehr als weiches Glas, durch das sie sich bewegte.
Neben ihr hielt sich noch immer Jamilla auf. Jenny wusste nicht, ob diese Person unter Wasser atmete. Sie jedenfalls hielt ihren Mund geschlossen. Zugleich kam ihr der Gedanke, dass es wohl nicht schlimm sein würde, wenn sie ihn öffnete. Irgendwo glaubte sie daran, dass gewisse Regeln auf den Kopf gestellt worden waren.
Der Teich war nicht besonders groß. Diese objektive Tatsache verschwand. Jenny schwamm durch eine Weite, durch einen See, durch weiches Glas, was auch immer.
»Wir sind gleich da…«
Wieder erreichte diese weiche Stimme ihre Ohren. Sie konnte damit leben, der erste Schreck war längst verflogen. Jenny begann sich an die Umgebung zu gewöhnen. Besonders die Stille gefiel ihr. Da wurde sie von nichts gestört und…
Es war vorbei!
Urplötzlich. Ohne dass sie es gesehen hatte. Es gab das Tor, aber ihr war es nicht aufgefallen. Sie riss die Augen weit auf. Da gab es kein Wasser mehr, das sie einschloss. Sie öffnete den Mund, und es war etwas Wunderbares, die Luft wieder einzuatmen.
Aber nicht dort, wo sie hergekommen war. Diese Luft
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