1315 - Das Lied von Blut und Tod
mich mal umgehört, nachgeschaut und so weiter. Mit der Zahl möchte ich euch nicht belästigen. Dann bin ich nach der alten Methode vorgegangen und habe mal einige Delanos angerufen.«
Ich zeigte mit dem Finger auf sie. »Und damit hast du auch Erfolg gehabt, nicht wahr?«
»Stimmt.«
Ich klatschte in die Hände.
Glenda sprach weiter. »Ich habe mit einer Frau gesprochen, die Mutter von zwei Kindern ist. Jetzt ratet mal, wie die beiden heißen?«
»Müssen wir das noch?«
»Nein. Mike und Mona.«
Meine Augen strahlten, als ich Glenda anschaute. »Jetzt musst du uns nur noch sagen, wo wir die Frau finden können, um mit ihr zu reden.«
»Zu Hause nicht. Ich hatte Glück, dass ich sie noch erwischen konnte. Sie arbeitet im Lager eines Versandhauses. Das steht in einem Industriegebiet. Die Adresse habe ich auch. Fahrt hin und redet mit ihr. Mehr kann ich für euch nicht tun.«
»Danke, du bist ein Schatz.« Ich warf ihr eine Kusshand zu.
»Spar dir deine Komplimente. Wenn der Fall gelöst ist, können wir ja zu viert essen gehen. Shao hat es auch verdient.«
»Versprochen.«
Jetzt zeigte Glenda auf Suko. »Du bist Zeuge.«
»Aber wie.«
Beide hatten wir zwar nicht über das Thema gesprochen, doch wir waren froh, aktiv werden zu können, auch wenn möglicherweise nicht viel dabei herauskam. Es war immerhin noch besser, als im Büro zu sitzen und zu grübeln.
Jetzt sah der Tag für uns nicht mehr so trübe aus.
***
Die Nacht hatte sie für Stunden verschluckt, und die Nacht hatte sie irgendwann wieder freigegeben, als der Himmel im Osten seine Dunkelheit verlor und die Dämmerung sich mit einem mächtigen Schub freie Bahn verschaffte.
Vanessa war gelaufen. Einfach weg. Ohne auf die Richtung zu achten. Die Peitsche der Angst hatte sie vorangetrieben und irgendwann hatte sie sich an einem Ziel wiedergefunden, zu dem sie gar nicht hinwollte, es aber nicht schlecht fand. Da musste ihr Schutzengel eine Leine geschwungen und sie an die Hand genommen haben, bis zu dieser Bushaltestelle, unter deren Dach Vanessa jetzt saß.
Einsam. Verlassen. Umgeben von Kippen und weggeworfenen, zerquetschten Getränkedosen, die auch in den Papierkorb nebenan gepasst hätten, aber dazu hatten gewisse Typen eben keinen Bock.
Für solche Idioten ist es cool, die Umwelt zu verschmutzen.
Wenn sie hochschaute, sah sie über sich das schmale Dach. Grau, auch schmutzig. Insekten krochen durch den dicken Schmutz, der unter dem Dach klebte. Die Bank auf der sie saß, war einigermaßen sauber. Zwei schmale Holzbretter fehlten. Irgendjemand, dessen Kraft zu groß gewesen war, hatte sie herausgerissen. Vielleicht hatte er sich auch nur über die Verspätung eines Busses geärgert.
Jetzt saß Vanessa hier. Einsam, verlassen. Als hätte sie alle Schuld der Welt auf sich geladen. Sie hielt die Geige noch fest. Das Instrument selbst hatte sie auf ihre Knie gelegt und den Bogen in die Tasche des Kleides gesteckt.
Vanessa wusste selbst, dass sie für das normale Leben unpassend gekleidet war. In ihrem langen hellen Kleid fiel sie auf. Sehr sauber war der Stoff auch nicht mehr. Er hatte im Laufe der Nacht einige Schmutzflecken bekommen. Für sie war das jedoch nebensächlich geworden.
Ein Freund hatte sie in die Nähe der Kapelle gebracht. Das heißt, mehr bis zur Kläranlage. Sie hatte ihm erzählt, dass dort ein Verwandter arbeitete, mit dem sie persönlich sprechen musste. Er würde sie auch wieder zurück in die Stadt bringen.
Sie lachte innerlich, als sie daran dachte, wo sie jetzt hockte. Einsam, verzweifelt. Innerlich leer. Ausgebrannt und ausgehöhlt. Vor ihr lag ein neuer Tag, von dem sie nicht wusste, wie er enden würde. Die Zukunft verschwand in einem Nebel.
Sie schaute ins Leere. Den Kopf allerdings voller Gedanken. Was sie in der Kapelle erlebt hatte, konnte sie nicht vergessen und auch nicht verdrängen.
Da war Mike tatsächlich zu einem echten Vampir geworden! Und er würde den Gesetzen folgen und ebenfalls Blut saugen. Das seiner Schwester war ihm am nächsten. Dann würden er und sie weitermachen und somit eine Kettenreaktion auslösen. Vampire über Vampire, die London unter ihrem Blutgriff hielten.
Vanessa stöhnte auf, als ihr diese Gedanken kamen. Ihr wurde regelrecht übel, und sie schüttelte sich. Das wollte sie nicht. Sie gehörte zwar zu denjenigen, die sich Schwarze oder Grufties nannten und ihre Melancholie als auch Trauer pflegten und der Dunkelheit mehr zugetan waren als dem Sonnenlicht, auch Friedhöfe
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