1315 - Das Lied von Blut und Tod
mochten und traurige Musik, manchmal auch mit der Vorstellung spielten, wie es wohl sein mochte, ein echter Blutsauger zu sein, doch direkt mit ihnen konfrontiert zu werden, das empfand sie als schrecklich.
Die junge Frau zitterte bei ihren Gedanken.
»Abartig«, flüsterte sie. »Es ist abartig.« Vampire ließen sich nicht mit Menschen vergleichen. Die Menschen kannten Freundschaft und Liebe. Den Wiedergängern aber ging es nur um die Gier. Sie wollten satt werden, und dazu diente ihnen das Blut der Menschen.
Sie wusste genau, dass eine wie Mike Delano sie anfallen würde, wenn sie ihm jetzt gegenüberstehen würde. Er würde ihr seine Hauer in den Hals hacken und sie bis auf den letzten Tropfen leer saugen.
Diese Vorstellung war schlimm. Brachte sie aber gleichzeitig zu einer anderen. Und das war keine Vorstellung mehr, sondern eine Tatsache.
Man wurde nicht einfach zu einem Blutsauger. Der Keim fiel nicht aus der Luft. Da musste es jemanden geben, der dafür sorgte, und genau das war auch ihr Problem.
Wer hatte die Kapelle besucht? Wer hatte einem Mike Delano das Blut ausgesaugt?
Sie hatte den Unbekannten nicht gesehen, doch die Folgen reichten ihr. Mike war nicht mehr der Spinner, der mit einem Stahlgebiss Vampir spielte. Er war jetzt zu einem echten Vampir geworden. Das andere hatte sie als eine Art von Krankheit angesehen, auch wenn sie, und da war sie ehrlich, davon fasziniert gewesen war, denn Mike war jemand, der auf Frauen wirkte. Trotz seiner perversen Leidenschaft. Von nun an sperrte sie sich. Das musste sie einfach.
Es gab da einen Riegel, der eine Wand hatte nach unten fahren lassen.
Ihr Entschluss stand fest. Sie wollte mit den Geschwistern nichts mehr zu tun haben. Weg von ihnen. Weg vom Blut. Weg von den echten Vampiren. Sich verstecken oder in eine andere Stadt ziehen.
Viele Überlegungen und Gedanken rasten durch ihren Kopf. Sie glichen einer Flipperkugel, die immer irgendwie anstieß, aber nie länger blieb und etwas festhielt. Bis sie schließlich nicht mehr kontrolliert werden konnte und in ein Loch fiel.
In einem Loch steckte sie ebenfalls!
Sie war tief gefallen. Sie befand sich auf dem Grund, und wenn sie hochschaute, sah sie kein Licht. Vanessa stufte sich auch nicht als besonders mutig ein. Sie hatte nie in der vordersten Reihe gestanden, das hatte sie immer anderen überlassen, aber es ging auch nicht ohne sie, denn ihr Talent wurde benötigt. Sie war die wunderbare Musikerin, die so herrlich Geige spielte. Das Lied von Blut, Tod und Verderben entlockte sie ihrem Instrument und alle hörten zu, wenn sie am Abend im Stigmata auftrat und durch ihre Musik die Nacht eröffnete.
Die Geigerin erschrak, als ihr der Namen des Lokals durch den Kopf huschte. Sie hatte das Gefühl, einen innerlichen Tritt bekommen zu haben. Noch blasser konnte sie nicht werden.
Mike und Mona würden kommen. Sie kannten den Weg. Sie kannten auch das Stigmata. Sie hatten viele Nächte zusammen mit den anderen Freunden in diesem Lokal verbracht. Es war auch der Ausgangspunkt für ihre Straftaten gewesen. Wenn sie von ihnen zurückkehrten, waren sie immer regelrecht high gewesen.
Sie alle befanden sich in Gefahr. Sie alle mussten als potenzielle Opfer angesehen werden. Da hatte dieser verdammte Blutsauger einen Pool vor sich, aus dem er sich bedienen konnte.
Nicht nur er, auch Mona – und es kam noch eine dritte Person hinzu. Derjenige Blutsauger, der die Kapelle betreten und sich satt getrunken hatte.
Vanessa schüttelte sich, als sich ihre Gedanken um sie drehten.
Sie war noch gefährlicher, und sie hatte genau gewusst, was sich in der Kapelle befunden hatte.
Ein Insider!
Einer aus dem Club. Aus dem Stigmata. Aus der Szene. Etwas anderes konnte sich die Musikerin nicht vorstellen. Er wusste Bescheid. Er hatte sich zwischen ihnen bewegen können, hatte nur zugehört, seine Gier zurückgehalten und so lange gewartet, bis für ihn alles gestimmt hatte.
Es gab für Vanessa vorerst keine andere Lösung. Sie wollte sich auch nicht mehr um Dinge kümmern, die sich ihr nur als vage Annahme darstellten. In diesem Fall ging es auch um sie persönlich.
Es gab nicht nur die Abende und die Nächte. Sie bildeten das krasse Gegenteil zu ihrem normalen Leben, denn Vanessa verdiente ihr Geld als Lehrerin in einer Musikschule. Am Nachmittag gab sie dort Unterricht, und die Kinder, denen sie die Musik theoretisch und auch praktisch näherbrachte, mochten sie sehr. Drei Stunden nahm diese Arbeit in Anspruch. Davon
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