1317 - Horror-Puppen
berechtigterweise Fragen stellen, die Rifkin nicht beantworten konnte. Es gab also nur eins, was er tun konnte.
Er musste die Puppe aus der Schlinge nehmen und beides entfernen.
Leider hing sie zu hoch, und eine Leiter stand nicht griffbereit in der Nähe.
Der Makler wusste sich schon zu helfen. Er öffnete die ihm am nächsten gelegene Tür und verhielt sich jetzt sehr vorsichtig, denn aus Schaden war er klug geworden.
Der Blick in das Zimmer mit dem großen Fenster beruhigte ihn, denn es war puppenleer. Dafür sah er einen Gegenstand, den er gebrauchen konnte.
An der Wand neben dem Fenster stand eine schmale Holzbank, wie man sie aus Biergärten her kennt. Nur besaß sie noch ein Polster. Sogar Goldfäden schimmerten in dem dunkelroten Stoff.
Er trug die Bank in den Flur und stellte sie so hin, dass er die Puppe bequem erreichen konnte.
Der Makler spürte seine Nervosität. So etwas hatte er noch nie getan. Auch wenn es nur eine Puppe war, er konnte sich dabei sogar vorstellen, dass er einen Gehängten aus der Schlinge entfernte.
Ein Gefühl des leichten Horrors strich über seinen Körper hinweg.
Kor stand auf der Bank und streckte die Arme aus. Er verfolgte seine zittrigen Hände mit den Blicken, fasste die Puppe in den Achselhöhlen an und versuchte, sie durch ein Anheben aus der verdammten Schlinge zu befreien.
Es war nicht möglich!
Die Schlinge saß einfach zu fest. Er war gezwungen, sie erst mal zu lockern.
Das klappte auch nicht so leicht. Jemand hatte sie verdammt festgedreht. Einen Fingernagel riss Rifkin sich ein, dann erst erreichte er einen kleinen Erfolg.
Die Schlinge hatte sich etwas gelockert. Eine Pause legte er nicht ein und machte weiter. Zupfen, zerren, aber nicht zu heftig, damit der Kronleuchter sich nicht aus der Verankerung unter der Decke löste.
Kor schaffte es. Er lachte sogar, als er die Puppe von ihrer Schlinge befreit hatte. Mit dem Handrücken wischte er über seine schweißnasse Stirn, stieg von der Bank und legte die Puppe darauf.
Jetzt sah er sie aus der Nähe. Durch sein heftiges Atmen pustete er sie an – und wäre fast zurückgesprungen, als er sah, was da passierte. Die Augen hatten sich bewegt. Ein kurzes Blinken oder Zwinkern. Auch der Mund hatte gezuckt. Alles war plötzlich anders geworden. Er steckte in einer Zwickmühle und konnte nicht begreifen, was hier vorging. Sein Herz schlug schneller. Er hörte sich selbst stöhnen, aber das war nicht alles, was er entdeckte, denn der große Horror erwischte ihn Sekunden später.
Unter dem Rocksaum glitt etwas hervor. Er sah einen dünnen Streifen. Leicht zittrig und wie durch einen Pinsel gezeichnet. Rot zudem. Und der Streifen bewegte sich. Er sickerte weiter nach unten, blieb aber auf dem Bein liegen.
Der Makler verstand die Welt nicht mehr.
Er riss den Rock hoch.
Wieder traf ihn der Schock, denn die zahlreichen Schnitte waren nicht zu übersehen. Klein, nicht nach einem geregelten Muster, sondern kreuz und quer.
Schnitte und Blut!
Das passte zusammen. Nur nicht bei Puppen, sondern bei Menschen. Doch er hatte hier keine Menschen vor sich, sondern leblose Gegenstände, Puppen eben.
Ein verdammter Irrtum. Eine Laune der Natur. Nichts stimmte mehr. Die Puppe war keine Puppe, sondern ein kleiner Mensch, der sogar bluten konnte.
Kor Rifkin verstand die Welt nicht mehr. Die normale war für ihn zusammengebrochen. Er, der Realist, musste sich eingestehen, dass er keine Erklärung für diese Vorgänge fand. Das brachte ihn durcheinander. So etwas durfte es einfach nicht geben.
Schnitte am gesamten Körper der Puppe. Er drehte sie mit hektischen Bewegungen auf den Bauch und versuchte dabei verzweifelt, eine Erklärung zu finden.
Es gab sie. Es gab sie bestimmt, aber nicht er fand sie. Sie lag woanders. Jenseits des menschlichen Begriffsvermögens. Es konnte allerdings auch sein, dass sich jemand einen Scherz erlaubt hatte.
Einer, der ihm nicht wohlgesonnen war. Die Puppen nehmen, sie mit Blut füllen und dann aufhängen.
Ja, das war möglich. Jeder, der sie sah, würde von einem Schock erwischt werden. Das hatte er selbst erlebt.
Rifkin zwang sich zur Ruhe. Er schaffte es nur, wenn er sich entspannte. Er schaute auf seine Hände. An den Fingern klebte das Blut, aber er wischte es nicht ab. Er hatte einfach nicht den Nerv dazu. Dafür ging er zurück, spürte unter der Hacke einen leichten Widerstand – und hörte auch den Schrei.
Selbst schreiend fuhr der Makler auf der Stelle herum. Er schaute zu Boden
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