1318 - Terror am Totenbett
entgegen…
***
Wenn sie darüber nachdachte, waren dies hier die schrecklichsten Sekunden ihres Lebens. Es gab nichts, was sie zurückgehalten hätte.
Keine Wand, kein Gegenstoß, sie musste alles hinnehmen und landete tatsächlich auf dem Körper des Lords.
Sie sah im letzten Moment das Gesicht, das sie unweigerlich berühren würde. Da jagte die Panik wie eine scharfe Schwertklinge in ihr hoch. Nein, nur das nicht. Auf keinen Fall. Der Ekel würde sie überschwemmen, und sie würde sich unweigerlich übergeben müssen.
Im allerletzten Moment drehte sie den Kopf zur Seite. Sie hatte Glück. Ihr Gesicht streifte nicht mal den Kopf. Es prallte in das Kissen hinein, und für einen Moment hatte sie den Eindruck, der Realität entfliehen zu können.
Sie sah nichts mehr. Sie bekam auch keine Luft. Sie spürte nur die Weichheit des Kissens und wünschte sich, dass es so bliebe und sie dann, wenn sie sich drehte, aus einem Traum erwachte.
Der Lord dachte anders. Claudias Ohren lagen frei. So hörte sie sein Hecheln, nicht sein Atmen, und nur einen Moment später griffen seine Hände wieder zu.
Diesmal umklammerten sie nicht ihre Gelenke. Er hatte sich gedreht und kümmerte sich um ihren Körper. Begleitet von diesen widerlichen Geräuschen schob er Claudia in eine andere Position.
Sie merkte alles, sie hörte alles, und doch war sie nicht in der Lage, dagegen etwas zu unternehmen. Eine ungewöhnliche Schwäche hielt sie umklammert. Es mochte auch an dem Schock liegen, der das Verhalten des Lords bei ihr hinterlassen hatte. Es war ihr nicht mehr möglich, einen Widerstand aufzubauen. Sie lag jetzt tatsächlich auf diesem Lustgreis und starrte ihn an. Dabei hielt sie mit aller Kraft den Kopf hoch. Auf keinen Fall wollte sie mit ihren Lippen sein Gesicht berühren, das wäre für sie so etwas wie ein Ende gewesen.
Und doch sah sie die alte Fratze vor sich. Ja, das war eine Fratze.
Das künstliche Auge glotzte sie bewegungslos an, während sie in dem rechten ein Glitzern entdeckte, das sie zumeist nur von jüngeren Männern her kannte, die sie anmachen wollten.
Dieser alte Lustgreis stellte die gesamte Natur auf den Kopf.
Claudia kannte das Alter des Lords nicht genau, doch unter achtzig war er bestimmt nicht.
Er bewegte seinen Mund. Und dabei auch seine Zunge. Es war widerlich, sich diese schmatzenden Geräusche anhören zu müssen.
Die alte Zunge fuhr über die trockenen, rissigen Lippen hinweg und schien sie mit klebrigem Leim zu befeuchten.
Die Zunge verschwand wieder. Als hätte sich eine Schlange in eine Höhle zurückgezogen.
»Küss mich, Süße!«
Das war der Horror. Das war das Grauen. Sie wollte es nicht. Sie konnte es nicht, aber sie würde es müssen, denn auf ihrem Rücken hatten sich die Hände und Arme zusammengefunden und bildeten dort einen Druck, den sie aus eigener Kraft nicht lösen konnte.
»Nein!«
»Doch!« Er lachte, aber es schoss kein Atem aus seinem offenen Mund.
»Ich will nicht, verflucht! Ich scheiße auf dein Geld, du alter geiler Sack!«
»Du gehörst mir, Süße. Mir allein. Keinem anderen. Hast du das begriffen?«
»Ich will es nicht!«
»Aber ich!«
Da ihre Arme an den beiden Körperseiten auch eingeklemmt waren, musste sie zum allerletzten Mittel greifen, um sich wehren zu können. Es würde ihr köperlich wehtun, aber auch ihm, und genau darauf setzte sie ihre Hoffnungen.
Noch schwebte ihr Kopf über dem seinen.
Sie sah die hohe Stirn mit der bleichen Haut. Genau die suchte sich Claudia als Ziel aus – und rammte ihren Kopf nach unten.
Treffer!
Sogar ein Volltreffer, denn sie merkte ihn verdammt deutlich und auch schmerzhaft. Da zuckte es durch ihren Kopf, als wäre sie mit glühenden Pfeilen beschossen worden. Claudia erlebte, dass man Sterne sehen konnte, und sie verlor in den nächsten Sekunden die Orientierung. Der Alte musste sich vor Schmerzen krümmen, er musste jetzt schreien, und der Griff würde sich lockern.
Trotz der Schmerzen erlebte sie diese Wunschgedanken, aber es war ihr nicht möglich, die Arme zu bewegen. Seine Umklammerung bestand nach wie vor. So hatte sie die Kraft des Alten unterschätzt.
Sie öffnete die Augen.
Den Kopf hielt sie wieder hoch. Noch immer war sie nicht ganz klar, weil die Stiche einfach nicht weichen wollten. Der Alte lag unter ihr. Halb offen stand sein Mund. Ihr kam plötzlich in den Sinn, dass er gestorben war.
Hielt sie ein Toter fest?
Sollte sie einen Toten küssen?
Die Vorstellung sorgte für eine Rebellion in
Weitere Kostenlose Bücher