132 - Dr. Frankensteins unheimliches Labor
vor den Mund. Sag mir nichts als die Wahrheit,
damit ich mir ein genaues Bild machen kann.“
Sie nickte eifrig, und ihre zarten Wangen
begannen zu glühen.
Die seltsame Begegnung mit dem Fremden fand,
wie Larry erfuhr, drei Tage nach dem mysteriösen Tod Andrew Wellings statt. Das
lag genau zehn Tage zurück. So lange währten die durch Scotland Yard
durchgeführten Untersuchungen. Doch weder zu Edward Higgins noch zu einem
anderen Yard-Beamten hatte Angie einen Ton über ihr abendliches Erlebnis im
Keller des alten, schlossähnlichen Landhauses gesagt. Erst vor drei Tagen, kam
jetzt heraus, hatte sie sich der Seniorin des Hauses an vertraut, die wiederum
den Familienclan in Kenntnis setzte. Der kam zu dem Schluss, dass Angie einer
Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war. Aber das Mädchen kam nicht von seinem
Erlebnis los. Es wollte im Beisein der anderen nicht über die Einzelheiten
sprechen. Es war bereit, Larry zu der Stelle zu führen, wo die merkwürdige
Begegnung stattgefunden hatte. Angie hatte zu dem sympathischen,
unkomplizierten Mann Vertrauen gefasst.
Der Keller war ein altes Gewölbe, in einzelne
größere und kleinere Kammern unterteilt, die wieder durch massive Bohlentüren
verschlossen waren. Das Mauerwerk war rau und feucht. Es roch muffig. Nackte
Birnen hingen an der Decke und spendeten spärliches Licht.
„Es ist ungewöhnlich für ein junges Mädchen
wie du es bist, sich in halbdunklen, feuchten Kellergewölben
herumzutreiben", meinte X-RAY-3. Seine Stimme hallte durch den kahlen
Gang. Hier unten waren sie allein mit den Geräuschen, die sie selbst durch
Schritte, Atem und Worte verursachten. Alles andere war zurückgeblieben. Nicht
mal Georges Klavierspiel war mehr durch die dicken Mauern zu vernehmen.
„Für mich ist das hier unten eine
Schatzkammer“, gestand Angie ihm. „Hier unten liegen Kisten und Truhen mit
alten Bildern, Büchern und Magazinen, von deren Existenz kein Mensch mehr weiß.
Schon als ich ganz klein war, hat es mich immer wieder hier heruntergezogen.
Meine Eltern ängstigten sich natürlich. Sie fürchteten, ich könnte die Treppe
hinunterstürzen oder von einer Ratte gebissen werden und in dem Wust von
Papier, Lumpen und Gerümpel verschwinden ...“ Sie lachte silberhell. „Aber
nichts von alledem geschah. Als ich drei Jahre alt war, hielt mich niemand mehr
zurück. Jede freie Minute nutzte ich aus, hier herunterzukommen. Ich entdeckte
verstaubte Puppen und Märchenbücher. Ich konnte nicht darin lesen, aber ich
betrachtete die Bilder und unternahm in Gedanken mit den Personen und Tieren
auf diesen Bildern die weitesten Reisen in die Welt der Phantasie, die Sie sich
nicht vorstellen können. Ich ängstigte mich hier unten nie. Ich hatte das
Gefühl, dies alles zu kennen, die Bücher und Puppen, die Puppenküchen und all
das andere Spielzeug, das von den Generationen davor benutzt und gesammelt
worden war und schließlich in irgendeiner Ecke abgestellt wurde oder in einer
Truhe verschwand. Für mich war das seltsamerweise alles nicht fremd. Ich fand
bestimmte Dinge auf Anhieb, und sie kamen mir bekannt vor. Meine Eltern waren
erstaunt, als ich ihnen eines Tages ganze Sätze aus den Büchern vorlas, die ich
hier unten gefunden hatte. Da war ich vier und hatte noch keine Schule besucht.
Ich hatte Lesen gelernt, ohne dass es mir jemand beibrachte. Manchmal kam es
mir so vor, als müsste ich das, was ich da in den Büchern und Briefen
entdeckte, nur aufarbeiten ... Hier unten gibt es eine Truhe mit vielen Bildern
und Briefen, die um 1820 herum entstanden sind. Die Briefe sind an eine Mary Beventow
gerichtet, von einem Mann namens Viktor. Marys Briefe sind ebenfalls fast
vollzählig erhalten und gebündelt aufbewahrt. Mary muss sehr schön und - sehr
verliebt gewesen sein ... Aus den Briefen weiß ich, dass sie 1820 hier als
Hausmädchen tätig war. Sie kochte, wusch die Wäsche und kümmerte sich um die
Kinder. Ein wahres Mädchen für alles! Sie war einfach und bescheiden, trug aber
auch ein Geheimnis im Herzen. Auf einem Ball in London, zu dem sie sich
heimlich in einem Kleid ihrer abwesenden Herrin begeben hatte und große Dame
spielte, lernte sie einen Mann kennen, ebenjenen Viktor. Sie verliebte sich
unsterblich in ihn. Er war Deutscher und hielt sich nur vorübergehend in London
auf. Er war Arzt und wollte seine Kenntnisse mit einigen englischen Kollegen
austauschen. Viktor wohnte in einem Hotel, und sie schrieb ihm täglich. Er
antwortete ihr auf die gleiche
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