132 - Entführt!
einer Lästerung der Götter gleich.
»Faathme befindet sich also auf der Flucht?«, fragte Aruula.
»Sie kann sich nicht damit abfinden, dass das Baby zu mir gehören wird. Sie will es für sich behalten! Damit entehrt sie mich für alle Zeit!« Saad war ehrlich entrüstet, und wenn es Aruula auch schwer fiel, es zu akzeptieren: So war hier die Tradition.
Aruula begann zu ahnen, weshalb Abn el Gurk damals jahrelang verzweifelt versucht hatte, seinen Sohn aus der Gewalt der Taratzen zu befreien. Er war mehr als jeder normale Vater an seinen Nachwuchs gebunden gewesen; ihn im Stich zu lassen wäre undenkbar gewesen. »Wann ist Faathme geflohen?«, erkundigte sie sich.
Saads umschleierter Blick klärte sich wieder. Er wand seine Finger ineinander. »Heute in den frühen Morgenstunden.«
»War sie zu Fuß unterwegs?« Der Verdacht in Aruula verdichtete sich.
»Ja. Sie floh Hals über Kopf und nahm nur das Nötigste mit sich.«
Das passte. Wenn man den Weg vom Dorf zur Lichtung berücksichtigte, musste Faathme genau zu dem Zeitpunkt dort gewesen sein, als sie ihre Rast eingelegt hatten. Und sie hatte Honeybutt entführt, um an ein Reittier zu kommen.
»Würde sie jemanden dazu zwingen, ihr zu helfen?«, fragte Aruula.
»Faathme ist bewaffnet, und sie ist verzweifelt. Sie würde bis zum Äußersten gehen, da bin ich mir sicher. Warum fragst du das?«
»Weil es genau so geschehen ist«, offenbarte ihm Aruula.
»Meine Begleiterin ist spurlos verschwunden, und ich bin jetzt davon überzeugt, dass sie sich in der Gewalt Faathmes befindet!«
»Deine Begleiterin?« Saad zog ein Tuch aus einer Tasche seiner Jacke und schnäuzte hinein. »Bist du wegen ihr hier?«
Aruula nickte. »Wir haben beide dasselbe Ziel«, sagte sie dann. »Du suchst Faathme, ich suche meine Begleiterin. Finden wir die eine, haben wir auch die andere.«
»Dann lass uns zusammenarbeiten!« Saad streckte ihr seine kleine Hand entgegen.
Aruula ergriff sie. »Genau das wollte ich von dir hören.«
***
Diesmal verfehlte das Maul sein Ziel nicht. Die kleinen, aber nadelspitzen Zähne schnappten nach und schlugen in Honeybutts braune Haut. Ein mörderischer Schmerz jagte ihr Bein hinauf, doch sie konnte nicht schreien, denn zugleich zog das Fischmonstrum sie unter Wasser.
Flammen der Pein, die das eisige Wasser nicht zu löschen vermochten, erfüllten Honeybutt. Sie schrie, und Wasser drang in ihren Mund. Sie stieß sich mit dem gesunden Bein vom Grund des Sees ab und jagte der Oberfläche entgegen, während sich das Blut unter ihr mit dem Wasser vermischte.
Vergeblich! Denn ehe sie Luft schnappen konnte, biss die Bestie wieder zu. Diesmal erwischte es ihren Oberschenkel, und sie spürte, wie der Knochen zermalmt wurde. Sie wollte schreien, doch Wasser füllte längst ihre Lungen. Aus!, dachte sie.
Doch Honeybutt ertrank nicht.
Denn der Hunger der Fischbestie war schneller als der Erstickungstod. Wieder biss sie zu, und wieder… Das Wasser färbte sich rot, und Fetzen ihres Fleisches wirbelten vor Honeybutts Augen.
Sie starb.
Und wachte auf. Ich bin nicht tot, erkannte sie erleichtert.
Sie lag vor dem kleinen Ofen im Inneren der verlassenen Hütte.
»Du bist wieder wach«, stellte Faathme fest. Sie hielt den Driller nicht mehr in den Händen.
»Wie lange habe ich geschlafen?« Ihr Kopf fühlte sich schwer an, ihre rechte Seite, mit der sie zu nahe am offenen Feuer gelegen hatte, schien zu glühen.
»Lange genug«, kam die ausweichende Antwort. Faathme saß zusammengesunken an dem Tisch und musterte Honeybutt.
»Ich habe nachgedacht. Du kannst mir freiwillig helfen, oder ich werde dich dazu zwingen, mich von hier wegzubringen.«
Honeybutt warf einen raschen Blick zum Driller hin, der auf dem Tisch lag. Wenn sie aufsprang und danach hechtete, konnte sie schneller sein als ihre Entführerin. Doch sie fragte sich, ob sie das überhaupt wollte. Was sie erfahren hatte, stimmte sie nachdenklich. »Sie trachten dir also nach dem Leben, weil du schwanger bist und dich weigerst, das Kind abzugeben?«
»Die Traditionen meines Volkes verlangen, dass die Mutter das Kind gleich nach der Geburt an den Vater aushändigt und jeden Kontakt zu ihm abbricht.« Faathme sah unendlich traurig drein. Dunkle Ringe lagen unter ihren großen graugrünen Augen, und über ihrer Nasenwurzel kerbten sich Falten.
»Wenn es bei euch seit Urzeiten so Sitte ist, warum handelst du nicht danach?«, fragte Honeybutt und setzte sich auf.
»Unter normalen Umständen
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