1320 - Wolfsmond
können, der bei diesen Temperaturen recht lange dauern würde.
»Gehen wir?«
»Gern.« Glenda nickte.
Ich suchte nach der Bedienung, die wirklich viel zu tun hatte. Als sie vorbeikam, hielt ich ihr blitzschnell einen Schein hin, den sie auch schnappte.
»Stimmt so.«
»Danke.« Dafür war noch Zeit genug.
Glenda Perkins stand als Erste auf. Auch jetzt war sie nicht locker. Sie drückte sich ziemlich angespannt von ihrem Sitz hoch und bewegte dabei auch den Kopf.
Ich ging um den Stuhl herum, stellte mich neben Glenda und wollte mit ihr zusammen losgehen, als sie plötzlich zusammenzuckte und den linken Arm anhob.
»Was hast du?«
»Da war was!«
»Und was?«
Glenda gab mir noch keine Antwort und lauschte weiter. Auch jetzt gab sie keinen Kommentar ab. Schließlich schüttelte sie den Kopf und murmelte: »Ich werde mich wohl getäuscht haben.« Sie strich über ihre Stirn und lächelte dabei unnatürlich. »Allmählich muss ich mich zusammenreißen. Ich leide schon unter Verfolgungswahn.«
Darauf ging ich nicht ein. Glenda hatte sich verändert. Sie war unnatürlich geworden. So kannte ich ihr Verhalten nicht. Sämtliche Lockerheit war von ihr abgefallen, und sie litt unter einer permanenten Spannung.
»Ich will ja nicht zu stark in dich dringen, Glenda, aber du musst etwas gehört haben, sonst hättest du dich nicht so verhalten.«
Nach einer gewissen Weile gab sie die Antwort. »Lachst du mich auch nicht aus, John?«
»Nein, warum sollte ich?«
Sie sprach leise, als hätte sie Angst davor, dass jemand mithörte.
»Ich glaube, einen Wolf gehört zu haben. Das Heulen, verstehst du? Da hat in der Ferne ein Wolf geheult. Und das mitten in London. Deshalb habe ich mich so erschreckt.«
»Verstehe«, murmelte ich.
»Hast du nichts gehört?«
»Nein, leider nicht. Oder zum Glück nicht. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass du dich getäuscht hast. Dir hängen die Ereignisse einfach noch zu stark nach.«
»Das weiß ich nicht, John. Man hat es auf mich abgesehen. Ich habe die Bestie gesehen. Das war ein Fehler. Ich hätte sie nicht sehen sollen. Jetzt sind sie hinter mir her. Wäre ich nicht so früh erwacht, wäre der Tag normal verlaufen. So aber werden wir noch Probleme bekommen.«
»Kann sein, Glenda, aber du bist nicht allein. Das solltest du auch bedenken.«
»Es ist auch mein einziger Trost.«
»Okay, sollen wir dann eben zu dir gehen, damit du einige Sachen einpacken kannst?«
»Klamotten? Wie viele denn?«
»Das überlasse ich dir.«
»Dann rechnest du mit einer längeren Zeit meiner Abwesenheit von zu Hause?«
»Ich hoffe nicht.«
Sie sagte nichts mehr. Nebeneinanderher gingen wir den Weg zu ihrer Wohnung. Wir überquerten die Straße und passierten Geschäfte, die längst geschlossen hatten. Vor einem kleinen Programmkino stand ein Gruppe von jungen Leuten, die über einen Film diskutierten und auch überlegten, in welchem Lokal sie noch einen Drink nehmen wollten. Autos überholten uns oder kamen uns entgegen. Ihre Scheinwerferstrahlen erfassten uns immer für einen Moment, bevor sie wieder verloschen und wir mit der Dunkelheit verschmolzen. Die Schwüle hielt sich über der Stadt. Es wehte kaum Wind, der sie hätte vertreiben können.
»Ich brauche eine Dusche, John.«
»Wie du willst.«
»Aber bei mir.«
»Ja, dagegen habe ich nichts.«
Sie drückte sich beim Gehen für einen Moment an mich. »Danke. Ich dachte schon, du würdest mich treiben.«
»Nein, nein, da brauchst du keine Angst zu haben. Wir können alles langsam angehen lassen.«
»Schon gut. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich darüber ärgere, dass ich uns jetzt die Probleme bereite. Es hätte alles so gut weitergehen können und…«
»Hör jetzt auf, dir Vorwürfe zu machen, Glenda. Du kannst das Schicksal nicht lenken.«
Sie sagte nichts mehr. Es waren nur noch wenige Meter bis zu dem Haus, in dem Glenda wohnte. Den Rover hatten wir in der Nähe des Lokals stehen gelassen. Dort war er gut aufgehoben. Wir hatten sowieso nur mit viel Glück einen Parkplatz gefunden.
Ich war nicht zum ersten Mal bei Glenda. Sie wohnte in einem Haus, das nicht eben zu den neuesten zählte. Zu den ältesten Bauten allerdings auch nicht. Die Mieten waren bezahlbar, und Glenda bewohnte einige kleine Zimmer in der ersten Etage. Von der Fläche her ungefähr so groß wie meine Bude. Nur war ihre besser eingerichtet. Da standen auch immer frische Blumen, und sie hatte auch einen besseren Geschmack als ich. Sie lebte in ihrer
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