1320 - Wolfsmond
Ich schaute zu, wie er zusammenbrach und dabei immer wieder zuckte, als hätte er Peitschenschläge bekommen. Er taumelte von einer Seite zur anderen, drehte sich noch mal und fand das Gleichgewicht nicht mehr wieder, denn er brach in die Knie.
In dieser breitbeinigen Haltung blieb er. Seine Arme hatte er angewinkelt und in die Höhe gestreckt. Es sah aus, als wollte er den Mond um Hilfe anflehen.
Der half ihm nicht.
Niemand half ihm!
Das Kreuz hatte ihn getroffen. Ich hatte für einen Moment das helle Blitzen gesehen, als diese zwei verschiedenen Pole aufeinander getroffen waren, und nun steckte die Kraft der anderen Seite in ihm und zerstörte das Böse, das sich über sagenhaft viele Jahre gehalten hatte, denn die Kreaturen der Finsternis hatte es schon zu Beginn der Zeiten gegeben.
Sander litt unter wahnsinnigen Schmerzen. Anders war seine Reaktion nicht zu verstehen. Er schleuderte Körper und Kopf von einer Seite zur anderen in immer hektischeren Bewegungen. Ich konnte trotzdem zusehen, wie seine Verwandlung fortschritt, aber sofort wieder zurückgezogen wurde, denn er wurde weder zu einem Wolf, noch blieb er ein Mensch. Er pendelte zwischen den beiden Zuständen hin und her.
Mal erschien das menschliche Gesicht, kurz danach tauchte wieder das des Wolfes auf.
Ein ständiges Hin und Her, das nicht mehr lang anhalten würde.
Das wusste ich aus Erfahrung.
Die Bewegungen wurden langsamer. Die Hände oder Pranken schlugen nicht mehr so heftig durch das Gras. Es kam schon einem Wunder gleich, dass die Kreatur sich noch in kniender Haltung hielt.
Schlagartig hörten die Bewegungen auf. Nichts passierte mehr. Er blieb einfach nur knien und hob mit einer unendlichen Mühe seinen Schädel an, der sich im Moment nicht mehr verwandelte und aus einer Mischung aus beidem bestand.
Halb Mensch, halb Wolf…
Böse und zugleich niedergeschlagen glotzten mich die beiden Augen an, die aus der Dunkelheit entstanden zu sein schienen.
Wenn es einen Ausdruck darin gab, dann mischten sich Schmerz und Hoffnungslosigkeit.
Ich schüttelte den Kopf.
Das hatte er gesehen. Er wollte auch sprechen, doch es gelang ihm nicht mehr. Zwar bewegte er seinen Mund, aber die Lippen gehorchten ihm nicht. Vor meinen Augen rissen sie auf, und plötzlich fielen sie als Fetzen zu Boden. Es war der Startschuss für das gesamte Gesicht, das zu einer breiigen Masse zerlief und zu Boden tropfte.
Die Gestalt bekam das Übergewicht. Niemand hatte sie in den Rücken gestoßen. Trotzdem kippte sie nach vorn und blieb im hohen Gras vor meinen Füßen liegen.
Noch einmal zuckte der Kopf, dann lag er still. Bruce Sander lebte nicht mehr…
***
Ich stand noch für eine Weile neben ihm und schaute nach unten, zugleich aber auch ins Leere. Dass dieser Sander uns noch einmal an einen zurückliegenden und sehr tragischen Fall erinnern würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Aber er hatte es nicht anders gewollt. Er hatte Rache nehmen wollen und sich dafür Glenda Perkins ausgesucht, wobei ihm willfährige Helferinnen zur Seite gestanden hatten.
Jemand kam durch das hohe Gras auf mich zu und winkte. Suko hatte ebenfalls seinen Part erledigt. Etwas weiter entfernt sah ich Glenda, die breitbeinig auf der Stelle stand und die vier Frauen mit einer Waffe bedrohte.
Suko deutete auf den Körper. »Wer war er?«
»Bruce Sander.«
»Kenne ich nicht.«
»Ein Freund von Alec Harris.«
Auch mein Freund hatte Probleme mit der Erinnerung. Ich klärte ihn auf, und er bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
»Dinge gibt es«, flüsterte er, »die kann man nicht begreifen.«
»Das werden wir immer wieder erleben, so lange wir noch auf dieser Welt mitmischen.«
Mein Freund konnte wieder lächeln. »Jedenfalls hat Glenda alles gut überstanden. Sie war sehr gut und mutig. Da muss man ihr ein großes Kompliment machen.«
»Ist das ein Wunder?«
»Wie meinst du das denn?«
Ich grinste. »Bei den beiden Chefs kann sie doch nicht anders reagieren.«
»Toll. Eingebildet bist du gar nicht, wie?«
»Warum sollte ich?«, fragte ich lachend, ließ Suko stehen und ging zu Glenda Perkins.
Und verdammt noch mal, ich fühlte mich wirklich erleichtert, wobei ich erst jetzt merkte, welch eine schöne Sommernacht wir hatten…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 1299 »Zeit der Bestie«
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