1320 - Wolfsmond
Zug sie hatte.
»Alle Achtung«, lobte ich, »das hätte ich nicht von dir gedacht. Da stellst du manchen Mann in den Schatten.«
Sie wischte die Lippen ab. »Ich weiß, aber das ist äußerst selten. Das brauchte ich jetzt.«
»Kann ich verstehen.«
Sie lächelte, als sie den Krug abstellte. Nur kam mir das Lächeln recht gezwungen vor, die Spannung hatte sie noch nicht wieder verlassen. Sie steckte tief in ihr, das las ich auch in ihren Blicken.
Wir hatten einen Pub in der Nähe ihres Hauses gefunden. Von einer Biergartenkultur kann man schlecht sprechen, aber immer mehr Wirte stellten an den warmen Tagen und Abenden Tische und Stühle nach draußen und hatten auf die richtige Karte gesetzt.
Uns war es nur mit Mühe gelungen, einen kleinen und auch freien Tisch zu finden, an dem wir jetzt hockten, so weit von dem nächsten entfernt, dass unser Gespräch nicht an fremde Ohren geriet.
Wahrscheinlich war sie der einzige Gast innerhalb dieser Umgebung, der nicht entspannt war. Sie konnte sich schlecht konzentrieren, nagte sehr oft an ihrer Unterlippe, war gedanklich woanders und schien das Lachen und die Stimmen überhaupt nicht zu hören. Zudem bewegte sie ständig den Kopf, als wollte sie Ausschau nach irgendwelchen Feinden halten, was vermutlich auch zutraf.
»Glenda«, sagte ich mit möglichst ruhiger Stimme. »Tu dir selbst einen Gefallen und reiß dich zusammen. Du machst dich sonst nur selbst verrückt.«
»Das weiß ich ja. Aber ich schaffe es nicht, verdammt. Ich kriege mich nicht in den Griff, und darüber ärgere ich mich selbst, aber es ist so schlimm, John. Ich kenne mich nicht mehr. Wir haben schon verflixt haarige Situationen miteinander erlebt. Irgendwie wusste ich immer, woran ich war. Das ist jetzt vorbei.« Sie schüttelte den Kopf. »Das kam so plötzlich. Ich wundere mich noch jetzt, dass ich praktisch allein aus der Sache herausgekommen bin. Normalerweise ist es umgekehrt. Da verliert die Frau, die allein ist.«
»Du bist eben besser.«
Glenda musste lachen. Es hörte sich an, als würde sie mir kein Wort glauben.
»Doch, das war gut.«
»Mag sein, John. Nur ist es noch nicht zu Ende. Und genau das ist mein Problem.«
»Wir sollten das Problem lösen.«
Glenda drehte mir ihr Gesicht zu. »Wie meinst du das denn?«
Mit der rechten Zeigefingerspitze fuhr ich über die helle Tischplatte hinweg. »Ich will nicht sagen, dass du dich sicher fühlen kannst, das auf keinen Fall, aber mir geht es um etwas anderes. Ich möchte einfach, dass du dich sicher fühlst. Und deshalb sollten wir überlegen, wie und wo wir die nächsten Stunden verbringen.«
»Ich wollte nach Hause und…«
»Ja, etwas packen.«
Glenda hatte ihren Krug angehoben. Jetzt sank die Hand damit wieder nieder. Sie stellte ihn ab, ohne daraus getrunken zu haben.
»Moment mal«, sagte sie leise, »soll das wirklich heißen, dass du bei mir übernachten willst?«
In einer lockeren Situation hätte uns ein solches Gespräch wirklich Spaß gemacht, hier aber war keinem nach einem Lächeln zu Mute.
»Nein, Glenda, das soll es im Prinzip nicht heißen, obwohl ich dich in der Nacht nicht allein lassen will. Auch ich bin der Meinung, dass man hinter dir her ist. Wir sollten nichts riskieren. Pack ein paar Dinge zusammen, dann fahren wir zu mir.«
»Der Wolf bereitet dir Kummer, nicht?«
»Ja, bestimmt.«
Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Es gibt ihn, ich habe ihn gesehen, aber er ist verschwunden, und ich frage mich, ob er ein Ziel hat.«
»Du denkst dabei an dich selbst?«
»Ja.«
»Wissen die anderen Frauen aus der Sauna denn, wo du wohnst?«
»Das kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber ich glaube schon, dass wir mal darüber gesprochen haben. Außerdem werden sie es leicht herausfinden können. Auch in der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung steht.«
»Alles klar.«
Ich sah es Glenda an, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte.
Sie sprach es jedoch nicht aus, blieb stumm und ließ ihre Blicke wieder in die Runde gleiten.
Es gab nichts zu sehen, was unseren Argwohn erregt hätte. Die Menschen in der Nähe waren uns unbekannt. Sie gingen über den Bürgersteig, überquerten mal die Straße, betraten den Pub oder suchten draußen nach freien Plätzen.
Der Autoverkehr hielt sich hier in Grenzen, sodass wir nicht zu viele Abgase zu schlucken bekamen. Gäste kamen, gingen, begrüßten andere, hatten ihren Spaß und waren froh, den Feierabend so verbringen zu
Weitere Kostenlose Bücher