1320 - Wolfsmond
wusste nicht mal, ob zwei oder mehr Frauen miteinander sprachen. Alles war so verschwommen und verwischt worden. Ich befand mich in einem Zustand zwischen Wachsein und Dahindämmern und kam mir zugleich vor wie in der Luft liegend oder auf einem Kissen schwebend.
Der Treffer hatte mich nicht richtig bewusstlos werden lassen.
Das war mehr wie bei einem Boxer, der groggy im Ring lag, um den sich allerdings keiner kümmerte. Deshalb war auch niemand da, der mir auf die Beine half und mich wegschleppte.
Ich hütete mich davor, mich falsch zu bewegen. Nur keinen Verdacht erregen. Das Flüstern der Stimmen erreichte mich mal lauter, dann wieder leiser, und schließlich war ich in der Lage, auch etwas zu verstehen.
»Wir haben sie.«
»Gut.«
»Was machen wir mit ihm?«
»Wir könnten ihn töten.«
»Er ist ein Bulle.«
»Stimmt.«
»Außerdem kennt man uns. Dieser Chinese wird keine Ruhe geben und uns jagen. Wir können uns keinen Stress leisten. Heute Nacht müssen wir ihm dienen.«
»Gut, dann lassen wir ihn hier liegen.«
Jemand kicherte. »Aber wir werden ihm seine Glenda schicken, und dann wird er sich wundern.«
»Genau das.«
Ich hatte vieles verstanden, aber nicht alles begriffen. Ich wusste nur, dass wir verloren hatten. Für Glenda hatte ich nichts tun können, die anderen Frauen waren stärker gewesen, und ich musste zugeben, dass ich diese Gruppe unterschätzt hatte, die zudem unter dem Einfluss des verdammten Werwolfs stand.
Denken konnte ich, auch wenn es mir schwer fiel. Nur war ich nicht in der Lage, mich zu bewegen. Noch immer schien eine Schicht aus Blei auf meinem Körper zu lasten, und auch die Gelenke waren wie mit Blei beschwert.
Ich lag auf dem Rücken. Aber ich hütete mich davor, die Augen zu öffnen. Völlig geschlossen waren sie auch nicht, und so lugte ich durch die beiden Spalte.
Die Frauen brauchten kein Licht. Zumindest nicht im Wohnzimmer. Aber sie bewegten sich auch nicht im Dunkeln, denn im Flur breitete sich ein schwacher Schein aus, der bis in den Wohnraum fiel.
Mein Kopf musste angeschwollen sein, zumindest dort, wo der Hals begann. Ob man mich mit einer Handkante oder einem Gegenstand erwischt hatte, war mir nicht klar. Eigentlich war es auch egal. Ich lag weiterhin völlig groggy auf dem Teppich.
Die Frauen huschten hin und her. Ich sah nicht, was sie taten.
Dann kamen zwei von ihnen noch einmal zu mir und beugten sich über mich.
»Wir sollten ihm den Wolf schicken, damit er ihm den Hals zerreißt!«
»Wäre nicht schlecht.«
»Und warum tun wir es nicht?«
»Weil wir Menschenfreunde sind.«
Die andere Frau lachte. »Ich denke, es liegt eher an der Zeit, meine liebe Kate.«
»Auch das.«
»Kommt!«
Den Ruf hatte ich gehört und auch die Stimme erkannt. Helen, die so etwas wie eine Anführerin war, hatte gerufen, und die beiden, die bei mir standen, reagierten sofort. Sie verließen mich und eilten in den Flur. Ich lag recht günstig. Als sie mir den Rücken zudrehten und auch nicht mehr die Sicht versperrten, konnte ich einen Blick in den Flur werfen, ohne dabei den Kopf heben zu müssen, was mir zudem kaum gelungen wäre.
Aber ich bekam mit, wie sie einen Körper anhoben. Er trug dunkle Kleidung, und für mich kam nur eine Person in Frage. Sie hatten sich Glenda geholt.
Wenn es stumme Schreie gibt, dann erlebte ich sie jetzt. Ich lag hier auf dem Boden und war nicht in der Lage, etwas zu tun. Sie trugen Glenda weg, und als die Wohnungstür zufiel, gelang mir ein erstes Stöhnen.
Ich blieb zurück. Vom Balkon her wehte der sanfte Nachtwind in den Raum und streichelte mein Gesicht. Er kam mir vor wie mit zahlreichen Stimmen gefüllt, die mich auslachten.
In einer solchen Situation merkte ich wieder mal, dass auch ein Geisterjäger nur ein Mensch mit verdammt vielen Fehlern und Schwächen ist…
***
Aus einer weißen Tasse ragten in Streifen geschnittene rote und gelbe Paprikastücke heraus. Hin und wieder griffen zwei verschiedene Finger zu und holten die Stücke hervor, um sie in die Münder zu schieben, wo sie von den Zähnen zerknackt wurden.
Die Hände gehörten Shao und Suko, die in ihrer Wohnung vor dem Bildschirm saßen.
Shao hatte die Idee gehabt, mal nachzuschauen, ob es eine Spur zu diesem Frauenquartett gab. Sie kannten alle Namen, und es gab immer mehr Menschen, die ihre eigene Webseite besaßen. Da konnte es durchaus sein, dass es bei der einen oder anderen der Frauen der Fall war.
Fay Lener. Kate Ross. Helen Snyder und Maggy Carver.
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