1322 - Das Grauen von St. Severin
gehabt.
Heute verzichteten wir auf das berühmte gedrehte Bier und auch auf die alte Pflaume. Durst hatten wir, doch den löschten wir mit zwei großen Flaschen Wasser.
Ich merkte Andreas Brass die Nervosität an. Er hätte gern schon Fragen gestellt und saß wie auf heißen Kohlen. Doch er riss sich zusammen und wartete, bis das Wasser in unseren Gläsern perlte.
Wir prosteten uns zu. Es war alles nicht mehr so locker wie sonst.
Wir wirkten befangen und Claas Claasen wich unseren Blicken aus.
Zumindest hatten wir das Gefühl. Er bewegte seine Hände auf dem Holz der anderen Thekenseite hin und her. So wie es aussah, wusste er nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte.
Das übernahm dann Andreas Brass. »Es stimmt also wirklich, dass Sie den Mönch gesehen haben?«
»Ja. Und zwar an der Keitumer Kirche St. Severin. Er steht dort wie ein unheimlicher Wächter. Zuerst habe ich es auch nicht glauben können. Ich traute mich auch eine ganze Weile nicht, dorthin zu gehen, bis ich mich schließlich überwunden hatte und endlich hinging. Ich sah natürlich, was man mir erzählt hatte.« Er schüttelte den Kopf. Danach blickte er mir in die Augen. »Es war der Mönch, John. Genau der Mönch, den Sie vernichtet haben. Er glich ihm wie ein Zwilling dem anderen.«
»Aber er hat sich nicht bewegt – oder?«
»Nein. Weder innen noch außen. Da gab es nur die verdammte Schwärze, die einem Menschen schon einen Schauer über den Rücken jagen konnte. Obwohl sich nichts tat, erlebte ich eine Furcht wie nie.«
Andreas Brass rutschte auf seinem Platz hin und her. »Was haben Sie unternommen? Sie sind doch nicht nur…«
Claas winkte ab. »Ich habe nichts unternommen«, flüsterte er.
»Ich konnte es nicht. Ich war, wie man so schön sagt, völlig von der Rolle und auch irgendwie weggetreten.«
»Ach. Wie meinen Sie das denn?«
»Das Zeitgefühl war weg. Ich stand einfach nur da und schaute. Ich blickte in den Mönch hinein, in die Schwärze, die mein gesamtes Blickfeld ausfüllte.« Er holte tief Atem und stieß ihn hörbar wieder aus. »Und dann passierte etwas, das ich bis heute nicht verstehe. Die Schwärze blieb nicht. In ihr entstand etwas. Ich sah plötzlich ein rotes, ja, ein glühendes Augenpaar, das mich anstarrte. Das war nicht zu fassen, aber eine Tatsache. Es… es … starrte mich an. Noch nie zuvor habe ich den Blick gesehen. Um es kurz zu machen, ich kam wieder zu mir und bin weggefahren.«
»Wie ging es weiter?«, fragte Andreas Brass voller Spannung.
»Alles war wieder normal. Bis ich dann nach Feierabend im Bad in den Spiegel schaute. Da habe ich dann das gleiche Rot in meinen Augen gesehen. Und das ist keine Schauergeschichte. Ich war auch nicht betrunken. Die Farbe stand in meinen Augen, als hätte sie jemand dort hineingemalt.«
»Nein«, flüsterte Andreas. »Nicht wirklich – oder?«
»Doch!«
Andreas Brass konnte es nicht fassen. Er stieß mich an und flüsterte: »Was sagen Sie dazu, John?«
»Erst mal nichts.«
»Das ist nicht viel für einen Experten.«
»Weiß ich. Aber auch Experten müssen sich erst mal zurechtfinden. Es gibt ja Gründe, dass dies alles passiert ist, und ich denke, dass ein gewisser Hajo Becker damit zu tun hat, der uns einlud.«
»Was wissen Sie über diesen Mann, Claas?«
»Nicht viel.«
»Er ist also kein Stammgast?«
»Nein, obwohl er die Insel kennt. Er kommt aus einem kleinen Ort in Hessen. Seinen Beruf kenne ich nicht, und ich habe ihn wirklich als einen jovialen Gast erlebt, der sich hier sehr wohl gefühlt hat.«
»Wohnt er allein hier?«
Claas zögerte mit der Antwort. »Nicht direkt. Einen Tag später ist noch jemand gekommen, den er kannte.«
»Wie heißt diese Person?«
»Fiedhelm Kohl.«
Ich überlegte. Der Name sagte mir nichts. Ich hatte ihn noch nie in meinem Leben gehört. Aber ich wollte mehr über die beiden Männer wissen. Da konnte mir sicherlich mein Freund Harry Stahl helfen, der für einen deutschen Geheimdienst arbeitete. Für ihn war es kein Problem, an derartige Informationen heranzukommen.
»Haben die beiden mit Ihnen über den Mönch gesprochen?«
Claas goss sich Wasser nach. »Nur am Rande, wenn Sie das meinen. Was man so erzählt.«
Andreas Brass schlug mit der flachen Hand auf die Theke. Er hatte sich wieder gefangen und etwas von seiner alten Energie zurückerhalten. »Wir sollten uns den Mönch am besten mal ansehen, so lange es noch hell ist.« Er schaute mich an. »Oder was meinen Sie?«
»Auf jeden Fall«, sagte
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