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1322 - Das Grauen von St. Severin

1322 - Das Grauen von St. Severin

Titel: 1322 - Das Grauen von St. Severin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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stellte sich Claas die Frage, ob er sich noch zu den Menschen zählen sollte. Er sah so aus wie ein Mensch, doch er brauchte nur an seine Augen zu denken, um das Menschsein zu bezweifeln. Er kannte keinen Menschen, in dessen Augen die Glut der Hölle leuchtete.
    Nur bei ihm.
    Schrecklich. Er war von den anderen Mächten infiltriert worden und fragte sich jetzt, ob es klug gewesen war, diesen Weg zu wählen, da er nicht allein war.
    Damit musste man einfach um diese Jahreszeit rechnen. Bisher hatte er es vermieden, anderen Menschen direkt in die Augen zu schauen. Er hoffte, dass es noch eine Weile so anhielt, denn jeder, der seine roten Augen sah, musste einfach erschrecken.
    Zwei helle Kinderstimmen klangen ihm von der rechten Seite her entgegen und rissen ihn aus seinen Grübeleien. Er drehte automatisch den Kopf. Zwei Mädchen hielten einen Hund fest, der unbedingt schneller gehen wollte und kräftig an seiner Leine zog.
    Es war ein golden Retriever, dessen Fell schmutzig war, weil er sich irgendwo auf der Erde herumgewälzt hatte.
    Die Kinder lachten. Sie schauten Claas an, der sich ebenfalls gedreht und für einen Moment nicht mehr an seine veränderten Augen gedacht hatte.
    Jetzt – jetzt würden sie schreien, wenn sie ihn sahen.
    Es passierte nicht.
    Kein Kind schrie. Sie lachten ihn sogar an. Aus dem Hintergrund riefen die Eltern, dass sie stehenbleiben sollten.
    »Er ist noch jung«, sagte die Größere der beiden. »Er will immer die Welt entdecken.«
    »Dann gebt mal Acht, dass ihr ihn nicht loslasst. Hunde müssen hier an der Leine geführt werden.«
    »Wissen wir.« Die Kinder liefen weiter und ihre Eltern folgten ihnen mit Schlenderschritten. Sie nickten Claas zu, der zurücklächelte und dabei in die sonnenbraunen Gesichter schaute.
    Auch sie hatten nichts bemerkt. Jetzt war Claas sicher, dass seine Augen nicht mehr die unheimliche Rötung zeigten. Er war wieder normal geworden.
    Tiefes Durchatmen.
    Freude darüber, ein Mensch zu sein und kein Monster mehr. Nur kam ihm dabei nicht der Gedanke für eine Umkehr. Er wollte nicht mehr zurück in das Hotel. Die Kirche besaß auch weiterhin ihren Reiz als Ziel und besonders der Mönch, der dort seinen Platz gefunden hatte. Ihm fühlte er sich trotz allem noch immer innerlich verbunden.
    Da das Watt rechts lag, war es ihm nicht möglich, die Kirche zu sehen. Das würde sich ändern, wenn er ihre Höhe erreicht hatte und über die Dünenflanke den schmalen Trampelpfad ging, der an einer Straße und zugleich an der Rückseite der Kirche und auch des Friedhofs endete. Zwar stand der Mönch auf der anderen Seite, das war jedoch kein Problem. Die wenigen Meter schaffte er locker.
    Claas Claasen gehörte nicht eben zu den kleinen Menschen.
    Wenn er ging, schritt er kräftig aus. Das tat er auch hier, denn der innere Motor trieb ihn an.
    Der Nachmittag war vorbei. Wie die Flut, so schlich auch der Abend heran, der noch nicht die langen Schatten der Dämmerung mitbrachte. Die hellsten Tage des Jahres waren fast erreicht. Da konnte man bei klarem Wetter fast bis Mitternacht draußen noch Zeitung lesen. Zwar stand nicht der volle Mond am Himmel, aber der jetzige, leicht ausgebeult wirkende brachte noch genügend Licht oder fahlen Schein, um auch die gesamte Insel zu bestreuen und ihr einen besonderen Glanz zu verleihen, der sich auch auf dem Wasser fortsetzte.
    Sträucher, hohes Gras, trockener Tang, das alles flankierte seinen Weg in Richtung Norden. Oberhalb der Dünen standen die Häuser mit den typischen Reetdächern. Dort saßen die Bewohner oder Feriengäste in den Gärten. Sie aßen, tranken und genossen den anbrechenden Abend, der von einem lauen Wind begleitet wurde.
    Claas lächelte etwas verloren. Alles war so nah und trotzdem sehr fern. Zwar bewegte er sich auf »seiner« Insel, trotzdem war sie für ihn zu einer fremden Welt geworden, weil sich sein Inneres verändert hatte. Es gab dort nicht mehr die Freiheit, die er gewohnt war.
    Eine andere Macht kontrollierte ihn, und er selbst fand nicht die Kraft, sie loszuwerden. Und das, obwohl seine Augen wieder das normale Aussehen angenommen hatten.
    Er legte den Weg ziemlich schnell zurück. Wie ein Wanderer im Winter, wenn der kalte Wind über die Insel pfiff und in die Gesichter der Menschen biss. Beinahe wäre er sogar an der Stelle vorbeigelaufen, die er hoch musste, um den flachen Bereich zu verlassen.
    Zwischen Dünengras schritt er her, gelangte an eine Stelle mit kleinen Bäumen, die hier eine Insel

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