1322 - Das Grauen von St. Severin
sagte ich noch und drehte mich um.
»Sie wollten mich sprechen, Herr Sinclair?«
So genau hatte ich das nicht geplant, aber es war bestimmt nicht schlecht, wenn wir ein paar Sätze wechselten.
»Gern, Frau Claasen.«
Wir gingen in den Aufenthaltsraum. Andreas Brass blieb dabei.
Er schloss die Tür und setzte sich auf die Couch, während Anja Claasen und ich uns im Sessel gegenübersaßen.
Die blonde Frau strich durch ihr dichtes Haar. Sie war etwas blass. Nur der Mund fiel auf, weil sie ihre Lippen mit einem blassen Rot nachgezogen hatte.
»Es geht um Claas, nicht?«
Anja war eine Frau, die ohne Umschweife zum Thema kam. Bei ihren drei Kindern und dem Hotel konnte sie sich keine Träumereien erlauben. Da stand sie mit beiden Beinen auf dem Boden.
»Sie kennen sein Problem?«, fragte ich.
»Nein, nicht genau. Ich weiß nur, dass er hoch zu St. Severin gefahren ist, weil er sich den Mönch angeschaut hat. Als er zurückkam, zeigte er sich verändert. Er war noch ruhiger als sonst, richtig in sich versunken. Als wäre er dabei, permanent über etwas nachzudenken. Ich habe auch nicht groß gefragt, denn ich war der Ansicht, dass er mir schon eine Erklärung geben würde.«
»Jetzt ist er verschwunden, Frau Claasen, regelrecht geflüchtet…«
»Ja, Frauke erzählte es, als sie mich anrief. Ich konnte es nicht glauben und bin deshalb nicht sofort gekommen. Außerdem war ich mit den Kindern beschäftigt, aber wenn Sie das sagen, dann glaube ich es Ihnen.« Sie verlor ihre Sicherheit zwar nicht, aber das leichte Zittern war mir nicht entgangen.
»Er ist geflüchtet.«
»Wohin?«
»Ich nehme an, dass sein Ziel die Kirche ist.«
»Wo der Mönch steht?«
»Ja, Frau Claasen.«
Sie senkte den Blick. Ich sah, dass sie schluckte. Sie schnaufte beim Atmen. »Ich habe es mir gedacht, Herr Sinclair, ich habe es mir gedacht. Der verdammte Mönch hat ihn in seinen Bann geschlagen. Claas hat es zwar nicht so deutlich ausgesprochen, aber ich bin nicht blind. An seinem Verhalten habe ich es festgestellt. Er muss eine schlimme Nacht hinter sich haben.«
»Wissen Sie Einzelheiten?«
»Nein, die hat er mir nicht gesagt. Er sprach nur davon, dass uns allen eine böse Zeit bevorstehen könnte, und er hat wirklich darauf gesetzt, dass Sie kommen, Herr Sinclair.« Ich sah das große Vertrauen in ihrem Blick und lächelte schwach, um ihr zumindest ein wenig Hoffnung zu machen.
»Okay, wir werden alles tun, aber ich muss Ihnen auch sagen, dass es nicht einfach sein wird. Ihr Mann ist praktisch aus dem Hotel geflohen.«
Anja Claasen hob die Schultern. Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
»Wir werden ihn suchen.«
»An der Kirche?«, flüsterte sie.
»Das denke ich.«
Bisher hatte Andreas Brass sich zurückgehalten. Jetzt stellte er eine Frage. »Wissen Sie, ob sich ein Gast namens Hajo Becker im Hotel aufhält?«
Die Frau überlegte einen Moment. »Nein, das weiß ich nicht. Ich kenne den Namen. Moment«, sagte sie dann. »Sein Wanderfreund hält sich hier auf.«
»Dieser Friedhelm Dings… ähm …«
»Kohl. Er heißt Kohl, Herr Brass.«
»Genau den meinte ich.«
»Ich habe ihn noch vor kurzem gesehen. Da kam er von unten aus der Sauna. Er müsste eigentlich auf seinem Zimmer sein. Wenn sie ihn sprechen wollen, gehen Sie hin.«
»Das werden wir wohl.« Ich lächelte Anja Claasen zu. »Nun ja, wir bedanken uns für Ihre Auskünfte und…«
Jemand öffnete die Tür. Der Mann war über 50. Er besaß ein schmales Gesicht und dunkle Haare. Seine Gestalt konnte man als drahtig bezeichnen. Uns nickte der Mann kurz zu, bevor er sich an Anja Claasen wandte.
»Pardon, aber sind die Herrschaften schon eingetroffen, auf die ich warte?«
»So viel ich weiß, nicht, Herr Kohl!«
Andreas Brass und ich schraken leicht zusammen, kaum dass Anja Claasen den Satz gesagt hatte. Plötzlich wussten wir, wer Hajo Beckers Freund war. Bevor wir handeln konnten, hatte er sich schon wieder zurückgezogen und verließ auch das Hotel. Durch die Fensterscheibe konnten wir bis vor den Eingang schauen. Dort malte sich seine Gestalt ab.
»Das war er!«, flüsterte Brass.
»Ja, der Freund von…«
Andreas Brass schnellte hoch. Er tat damit das Gleiche wie ich.
Von der Tür her bedankte ich mich noch bei Anja Claasen für ihre Auskünfte und hatte wenig später das Hotel verlassen.
Ich wollte Friedhelm Kohl nicht entkommen lassen. Er dachte auch nicht daran zu fliehen, denn er ging mit gemessenen Schritten den Weg entlang auf einen
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