1327 - Lady Sarahs Totenfrau
einfach auszudrücken, konnte man behaupten, dass es sich um ein Buch handelte, dessen Inhalt sich mit bösen Frauen beschäftigte. Hier waren diejenigen aufgeführt, die sich gegen das Gute gestellt und den Menschen damals Angst gemacht hatten.
Ich fand Namen, die mir bekannt und unbekannt waren. Es war über Frauen geschrieben worden, die in vorbiblischer Zeit existiert hatten und verehrt worden waren. Über Dämoninnen, über Göttinnen und Halbgöttinnen. Von manchen gab es auch Bilder, und ich setzte meine Hoffnung darauf, eine Abbildung der Frau zu finden, die wir unten auf dem Gemälde sahen.
Jane arbeitete parallel, und ich war gespannt, wer von uns zuerst einen Erfolg erzielte. Wenn überhaupt. Möglicherweise befanden wir uns auch auf der falschen Spur.
Es war ziemlich still hier oben im Archiv geworden. Nur das leise Klicken der Computertastatur war zu hören und wenig später die Stimme meiner Freundin Jane.
»Das muss sie sein!«
Ich legte das Buch zur Seite, und mit einem Schritt hatte ich Jane Collins erreicht und schaute ihr über die Schulter.
Auf dem Schirm erkannte ich das Bild der Frau, die wir auch unten auf dem Gemälde gesehen hatten.
Es war eine Seite aus dem Buch, das ich in den Händen gehalten und durchgeblättert hatte, aber ich war so weit noch nicht gekommen. Das Bild befand sich ziemlich am Schluss.
Auch hier saß die Frau. Allerdings nicht vor einer Heiligenfigur.
Sie saß mit angezogenen Beinen auf einem Untersatz, der keinen normalen Stuhl darstellte, sondern etwas Kompaktes, von dem nicht alles zu sehen war. Es war vielleicht ein großer Stein.
»Ist sie das, John?«
Ich schaute mir das Bild noch mal an. Es war kein Gemälde, sondern ein alter Holzstich. Hundertprozentig sicher war ich mir nicht, aber ich ging zunächst mal davon aus.
Der Text war nicht besonders lang, sodass wir ihn schnell überfliegen konnten. Wie erfuhren, dass diese Person Lysana hieß und im frühen Altertum als Totenfrau verehrt worden war. Wobei sich ihr Name über Jahrhunderte hinweg gehalten hatte und auch nach unserer Zeitrechnung nicht vergessen war, zumindest nicht in den ersten Jahren nach Christi Geburt.
Lysana war von den Menschen sehr verehrt worden. Man mochte sie, man fürchtete sie allerdings auch, denn wenn sie erschien, war der Tod nicht mehr weit. Einige Menschen verehrten sie auch als Geschöpf, das sie auf den Weg ins Jenseits brachte.
Sie schien zum einen erwartet worden zu sein, zum anderen aber lehnte man sie ab. Und – was uns noch stark ins Auge stach – sie war von den Menschen damals für unsterblich gehalten worden.
»Unsterblich«, murmelte Jane und drehte sich zu mir hin.
»Glaubst du das, John?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin erst mal nur froh, dass wir sie gefunden haben und auch wissen, dass sie Lysana heißt.«
»Kennst du den Namen?«
»Nein, den habe ich nie zuvor gehört. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Gestalten sich in den Schattenreichen herumtreiben. Denk mal daran, wie viele Religionen es früher gab. Jeder suchte sein eigenes Glück. Welches der richtige Weg war, konnte niemand sagen.«
»Kann er es denn heute?«
»Kaum.«
Mehr war über Lysana nicht zu finden. Wir wollten nicht unzufrieden sein. Zumindest wussten wir den Namen und mussten jetzt nur herausfinden, in welch einem Zusammenhang sie mit Lady Sarah gestanden hatte. Grundlos hatte Sarah sich das Bild nicht versteckt und das Geheimnis erst nach ihrem Tod preisgegeben. Sie hatte darauf gesetzt, dass wir Nachforschungen anstellen würden, und hatte damit richtig gelegen.
»Okay, wir können wieder nach unten gehen, John. Nimm das Buch am besten mit.«
»Da wäre noch was«, sagte ich.
Der Klang meiner Stimme hatte Jane aufhorchen lassen. »Hast du etwas herausgefunden?«
Ich wiegte den Kopf. »Wie man’s nimmt, Jane. Es war schon überraschend.«
»Komm, sag schon.«
Ich tat ihr den Gefallen. Sie hörte gespannt zu, und erst als ich fertig war, stieß sie zischend den Atem aus.
»Das ist ein Hammer! Dann gehe ich davon aus, dass wir es hier eventuell mit einem lebenden Bild zu tun haben. Eins, das erwacht ist. Wäre ja nicht unbedingt was Neues.«
»Richtig.«
Jane stand auf. »Bleibt die Frage, was hat dieses Bild mit Sarah Goldwyn zu tun?«
»Das weiß ich auch nicht.«
Jane senkte den Kopf und dachte nach. »Könnte es sein, dass sie vor diesem Bild Angst gehabt hat und es deshalb versteckte? Die Angst muss so groß gewesen sein, dass sie das Versteck erst nach
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