1331 - Hochzeitskleid und Leichenhemd
hinterließen.
Marietta stellte auch fest, dass sie nicht richtig am Boden lag. Sie saß mehr, denn sie war so gesunken, dass sie mit dem Rücken einen Türpfosten berührte und der sie abstützte.
Vor ihr bewegte sich die Gestalt von ihr weg. Sie ging tappend über den Boden hinweg und sorgte dafür, dass sie mehr in den Lichtbereich der Kerzen geriet, sodass sie von Marietta besser gesehen wurde.
Zwar erlebte Marietta einen leichten Schwindel, aber das war auch alles an Behinderungen. Es gab keine Schmerzen, keinen starken Druck, auch keine Übelkeit, und deshalb war das, was sie sah, tatsächlich keine Einbildung oder ein Produkt ihrer Phantasie.
Die Gestalt gab es wirklich. Es war kaum herauszufinden, ob es sich dabei um die Person handelte, die mal das weiße Hochzeitskleid getragen hatte, aber der Kopf stimmte, und wenn sie einen Blick über den nackten Körper warf, dann passte er dazu.
Vielleicht schönte das Kerzenlicht auch. Möglicherweise sah die Unperson im Hellen noch schrecklicher aus, aber Marietta Harper reichte aus, was sie sah.
Auch wenn es eine menschliche Gestalt war, es gab nur eine Beschreibung dafür.
Grauenhaft…
Ein Körper mit dunkler Haut. Mit lappigen Falten, die mal Brüste gewesen waren. Eine Haut, die dunkel war, die aber auch leicht grünlich schimmerte und zudem noch eine rötlich-gelbe Farbe bekommen hatte. Das lag einzig und allein am Schein der beiden Kerzen, deren Flammen flackerten, als sich die Person daran vorbeibewegte.
Marietta wusste, dass vieles mit ihr persönlich zu tun hatte. Doch sie hatte nicht mal die Zeit, sich zu ängstigen und an sich selbst zu denken, denn sie musste zuschauen, was die andere vorhatte.
Sie kam nicht auf den Gedanken, dass sie eine lebende Tote vor sich hatte. Ein Begriff wie der des Zombies war ihr fremd, sie schaute nur zu, was dieses Wesen anstellte.
Es hatte bewusst einen Bogen geschlagen, um zu seinem Ziel zu gelangen. Es lag auf dem Boden und breitete sich dort wie ein weißes Tuch aus. Genau das war es nicht, sondern das Hochzeitskleid, das die Gestalt nach dem Ausziehen auf den Boden gelegt hatte.
Jetzt hob sie es an…
Marietta schaute weiterhin zu. Sie saß da, als hätte man sie mit dem Türrahmen verbunden. Es war ihr nicht möglich, normal zu denken. Oder aufzustehen und wegzulaufen. So blieb sie sitzen und erlebte alles wie einen Film.
Die Gestalt hob das Kleid an. Sie streckte dabei ihre halb verwesten Arme in die Höhe und drehte sich so, dass Mariettas Blick automatisch auf das Vorderteil des Kleids fiel.
»Schöne Braut!«, schrillte die Stimme in ihren Kopf hinein. »Schöne Braut! Du wirst es anziehen! In dieser Nacht gehört es dir. Nur in dieser Nacht. Ansonsten ist es mein Kleid…«
Die Worte rauschten an ihr vorbei, und Marietta wusste nicht, ob sie das Gesagte nun wirklich gehört hatte oder nicht. Der Realitätssinn war ihr verloren gegangen. Noch immer kam ihr nicht der Gedanke an Flucht. Sie blieb sitzen, aber sie begriff schon, dass sie allmählich die Hauptperson in diesem Spiel wurde.
»Es gehört mir. Mir, Corinna Moncour, aber ich werde es dir heute Nacht überlassen. Du darfst es tragen. Du darfst dich darin bewegen. Du kannst tanzen. Du kannst dir deinen Bräutigam vorstellen, wie du ihn in den Armen hältst, und wahrscheinlich werde ich an seine Stelle treten.« Sie fing an zu kichern. Dabei entstand ein Geräusch, das bei Marietta fast körperliche Schmerzen hinterließ.
Erst jetzt kam ihr die Hilflosigkeit richtig zu Bewusstsein. Ohne ihr Zutun war sie in eine schreckliche Lage hineingeraten, aus der sie aus eigener Kraft nicht mehr herauskam. Sie musste sich fügen, und so schaute sie zu, wie diese Corinna immer mehr auf sie zukam. Das Kleid hielt sie dabei so hoch, dass sie nicht darüber hinwegschauen konnte und deshalb an der Seite vorbeisah.
Bei jedem Schritt schwang das Kleid leicht von einer Seite zur anderen. Der Saum schleifte dabei über den Boden, und Marietta achtete sogar auf diese Geräusche.
Dicht vor ihr blieb die Gestalt stehen.
»Steh auf!«
Marietta wollte etwas erwidern, schaffte es jedoch nicht. Deshalb schüttelte sie nur den Kopf.
»Du kannst es im Sitzen nicht anziehen. Wenn du nicht willst, werde ich dich zwingen!«
Diese Drohung reichte ihr. Marietta wunderte sich darüber, dass sie nicken konnte. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie stützte sich mit den Fäusten am Boden ab und schaffte es so, allmählich auf die Beine zu kommen, wobei der
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