1331 - Hochzeitskleid und Leichenhemd
sie selbst. Sie tat alles, was man ihr befahl. Und so beugte sie sich nach links. Es sah aus, als wollte sie Schwung holen.
Vor ihr stand Corinna.
Sie hatte eine bestimmte Position eingenommen und wartete in einer Tanzhaltung auf die junge Braut.
Marietta wusste, was sie zu tun hatte. Aus der Kreiselbewegung hervor glitt sie mit einem langen Schritt auf die Gestalt zu.
Darauf hatte Corinna gewartet. Sie griff genau zum richtigen Zeitpunkt zu und bekam sie zu fassen.
Jetzt war sie der Bräutigam und Marietta die Braut!
Beide tanzten und drehten sich dabei im Kreis. Es glich schon einem Wunder, wie die so unterschiedlichen Personen harmonierten. Als hätten sie das Tanzen in einer entsprechenden Schule geübt. Sie brauchten keine Musik, um sich im Walzertakt zu drehen.
Und sie schwebten durch das große Zimmer wie von Flügeln getragen. Marietta dachte an nichts mehr. Sie hatte die Welt ringsum vergessen. Sie erlebte nur den kreiselnden Wirbel, der sie immer stärker packte, weil sie sich auch schneller drehte.
Es war für sie nicht mehr zu fassen und nicht zu erklären. Der Wirbel hielt sie in seinen Klauen. Aus eigener Kraft hätte sich Marietta nicht befreien können. Der wilde Wirbel war einfach da, und je schneller sie sich drehte, um so stärker hatte sie das Gefühl, dass ihre Gedanken einfach wegflogen.
Sie konnte sich nicht mehr halten. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Zugleich strömte etwas wie Feuer in ihr hoch. Es war eine Hitze, gegen die sie nicht ankam. Sie brannte überall. In den Fingerspitzen, in den Zehen, auch im Körper und im Gesicht.
»Tanzen, Mädchen, tanzen…«
Die schrille Stimme erfüllte ihren Kopf.
»Tanzen für den Teufel…«
Auch das tat sie. Es war ihr egal, für wen sie sich drehte und auch, dass es immer schneller ging. Von allein würde sie die wilden Bewegungen nicht stoppen können. Sie musste sich schon auf Corinna verlassen, die nicht daran dachte, den Tanz zu stoppen.
Sie drehte sich weiter. Immer schneller, und die Hitze stieg wie ein Feuerstrom in ihr hoch. Marietta hatte das Gefühl, jetzt zu brennen und dass dieses verdammte Feuer ihr allmählich die Haut ablöste und sie so wurde wie Corinna.
Längst war sie losgelassen worden. Aber das merkte sie nicht.
Marietta tanzte weiter. Es war jetzt ihr Tanz. Es waren ihre Drehungen, die sie dem Teufel immer näher brachten.
»Tanzen, tanzen, Kind…«
Die Stimme war plötzlich so weit entfernt. Und tatsächlich fasste sie niemand mehr an.
Allein wirbelte sie durch den Raum. Es glich schon einem Zufall, dass sie nicht irgendwo anstieß. Sie drehte sich weiter. Nur nicht mehr auf der Stelle. In ihrem weißen Hochzeitskleid war sie zu einem hellen Wirbelwind geworden, der über den Holzboden hinwegfegte und sich durch nichts mehr aufhalten ließ.
TANZEN!
Es war der letzte Befehl, der sie erreichte und sie noch mal zu einem wahnsinnigen Wirbel anspornte, bei dem sie sich um die eigene Achse drehte.
Die Hitze!
Das Drehen!
Der Schwindel!
Da kam alles zusammen und vereinigte sich zu einem furiosen Finale. Ihr Körper geriet in eine letzte wirbelnde Umdrehung, bevor sie diesem grausamen Spiel Tribut zollen musste.
Es sah so aus, als wären ihr die Beine unter dem Körper weggerissen worden. Sie hatte den Kontakt mit dem Boden verloren.
Sie schwebte durch die Luft, in der es keinen Halt mehr gab.
Und dann traf sie der Schlag.
Noch in der Bewegung, die ihre Flüssigkeit verlor. Ein letztes Zucken der Glieder und des Körpers.
Noch in der gleichen Sekunde brach sie zusammen.
Schwer schlug sie auf den Boden. Eingehüllt in ihr Brautkleid, das zu einem Leichenhemd geworden war…
***
»Eine Zeitung?«, fragte ich.
»Ja.« Glenda nickte heftig.
»Was soll ich damit?«
Sie verdrehte die Augen. »Was macht man mit einer Zeitung? Man liest sie. Oder hast du heute schon Zeitung gelesen?«
»Habe ich nicht. Und erst recht nicht das Blatt, das du mir hingelegt hast.«
»Sei nicht so arrogant, sondern lies, John. Und du auch, Suko. Dann möchte ich wissen, was ihr dazu sagt.«
Mein Freund stand auf. Ich legte die Zeitung schräg und warf erst jetzt einen Blick auf die von Glenda aufgeschlagene Seite. Das erste Hinschauen reichte schon, denn das große Foto, um das sich der Text gruppierte, war nicht zu übersehen.
Auf dem Boden eines Zimmers lag eine Tote. Zuerst sah es aus, als hätte man ihr ein helles Leichenhemd übergestreift. Beim zweiten Hinsehen erkannte ich, dass es sich um ein Hochzeitskleid
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