1334 - Der Ghoul und die Witwe
sodass sie dann von einem Grab zum anderen kriechen konnten, um sicher an ihre Nahrung zu gelangen.
Das war hier sicherlich nicht anders. Doch ich hatte keine Lust, mich durch eine schmale Öffnung in einen Stollen zu zwängen und unterwegs noch Gefahr zu laufen, zu ersticken. Das wollte ich auf keinen Fall, denn so etwas hatte ich schon früher erlebt. Genau das waren Dinge, die ich einfach nur hasste.
Ich ließ die Lampe brennen, ich gab also ein Zeichen, das von keinem Menschen gesehen wurde. Niemand war da, der auf mich geachtet hätte. Völlig normal bewegte ich mich über diesen alten Totenacker hinweg. Ich war eigentlich immer zu sehen, von jeder Ecke des Friedhofs aus, aber man ließ mich auch in Ruhe.
Das war zwar nicht schlecht. Nur wollte es mir nicht gefallen. Ich ging immer noch davon aus, dass sich auch Jane Collins hier irgendwo herumtreiben musste. Bisher hatte ich den Beweis dafür noch nicht bekommen, und das sorgte für ein gesundes Misstrauen.
Irgendetwas stimmte hier nicht und lief einfach verkehrt.
Wieder erreichte ich die Nähe der Leichenhalle. Die Leuchte war so etwas wie ein Scheinwerfer, auf den auch jetzt niemand reagierte. Dabei war das Licht ziemlich weit zu sehen.
Ich wusste auch nicht mehr, was ich noch alles unternehmen sollte. Ein paar aufgewühlte Gräber hatte ich gesehen, das war alles.
Diese Tatsache hatte mich nicht wirklich weitergebracht. Noch immer fühlte ich mich wie auf verlorenem Posten.
Ich musste zu einem Abschluss kommen. Und zwar zu einem, der mir kein schlechtes Gewissen bereitete. Aber den zu bekommen, war verdammt nicht leicht.
Noch einmal den Friedhof untersuchen? Wieder die Runde drehen und später sauer sein, weil es nicht funktioniert hatte?
Nein, das wollte ich nicht.
Es gab noch etwas anderes. Ich kannte den Namen Lou Kersher.
Er wohnte in einem Haus, das dem Friedhof gegenüberlag. Und das musste doch, verdammt noch mal, zu finden sein…
***
Es stank nach Ghoul!
Das wusste Jane, denn sie kannte den Geruch. Man konnte ihn auch anders bezeichnen. Es stank nach Verwesung, nach altem Fleisch, das sich bereits in diesem fortgeschrittenen Zustand befand und bei einem Menschen Übelkeit hervorrief.
Jane hatte diesen Geruch bemerkt, als sie das Haus betreten hatten. Er war ihr viel stärker vorgekommen. Der Gedanke, dass ein Ghoul den Weg durchs Treppenhaus gefunden hatte, war nicht so abwegig. In der Umgebung des Friedhofs war eben alles möglich.
Der Totengräber und sie hatten das alte Haus betreten. Zum Glück hatte sich die Haustür normal öffnen lassen. Hier schloss niemand ab. Das Schloss war defekt.
Im Flur blieben sie stehen. Schwach malte sich der Beginn der Treppe ab. Da brauchten sie nicht mal das Licht einzuschalten.
Jane hielt auch jetzt ihre Waffe in der Hand. Die Mündung zeigte mehr zu Boden. Die Detektivin ging davon aus, dass ihr der Totengräber keine Probleme bereiten würde.
Es war ein ungewöhnliches Haus, wie Jane Collins fand. Sie hatte sich öfter in diesen alten Mietshäusern aufgehalten. Natürlich wurde es in der Nacht ruhiger. Aber dass gar kein fremder Laut zu hören war, empfand sie schon als ungewöhnlich. Das Haus hier schien die Stille gepachtet zu haben, die ihr zudem lauernd vorkam, als wollte sie gleich in das Gegenteil hineingeraten und explodieren.
»Kennst du dich aus?«, fragte Jane.
»Nein, nein.«
»Ach, du weißt nicht, wer hier wohnt?«
»Ich kenne die Leute nicht.«
»Bis auf Edna – oder?«
»Ja. Aber ich war nicht hier.« Der Totengräber antwortete hektisch und flüsternd. »Warum hätte sie mich in die Wohnung nehmen sollen? Wir trafen uns auf dem Friedhof. Dort zeigte sie mir die Stellen, die für meine Kunst wichtig waren.«
»Aha, so ist das.«
Hier unten mussten sie nicht länger bleiben. Edna wohnte in der ersten Etage neben Lou Kersher. Auf dem Klingelbrett hatte der Name der Frau gestanden.
Edna Wilson!
Ob die Klingel überhaupt funktionierte, war die große Frage.
Jane Collins ließ es erst gar nicht auf einen Versuch ankommen.
Offiziell wollte sie sich nicht anmelden. Aber sie brauchte Hilfe, und diese hieß einfach nur Totengräber.
»Geh hoch!«
Der Mann mit der flachen Mütze zögerte. Er duckte sich leicht, als hätte er einen Schlag bekommen.
»Ich… äh …«
»Es ist die einzige Möglichkeit, die dir bleibt.«
»Und was soll ich tun?«
»Erst mal hochgehen. Danach entscheide ich, wie es weitergeht. Und merk dir eines, Totengräber. Wenn jemand darüber
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