1334 - Der Ghoul und die Witwe
Wilson!
Sie stand vor ihm, schaute auf ihn nieder und lachte wirklich dreckig. Er sah ihre Hände nicht, denn die hielt sie auf dem Rücken verborgen. Zunächst wollte sie genießen, dass er hilflos vor ihr auf dem Boden lag. Sie beugte sich noch tiefer.
In diesem Moment hätte ihn auch der Teufel mit seiner Fratze anschauen können. Da gab es wohl nicht viele Unterschiede zwischen den einzelnen Gesichtern.
Sie fing an zu lachen.
Es klang meckernd und hämisch. Abrupt stoppte sie den akustischen Triumph. »Mein lieber Nachbar Lou Kersher. Hast du wirklich gedacht, dass ich dich lebend aus meiner Wohnung lasse? Hast du das wirklich angenommen? Bestimmt, aber ich bin besser als du. Ich werde Goldie nicht im Stich lassen, verstehst du?«
»Wie war das? Goldie…?«
»So nenne ich ihn.«
»Das ist krank.«
»Nein, nein, es hat schon alles seinen Sinn. Außerdem bestimme ich hier, was krank ist oder nicht. Daran solltest du dich gewöhnen, mein lieber Nachbar.«
Lou dachte noch immer über die erste Erklärung nach. »Aber wieso Goldie…?«
»Ein Kosename.«
»Für… für … diesen stinkenden …«
»Genau, aber hüte dich, es auszusprechen. Ich mag ihn. Ich habe ihn immer gemocht.« Dann sagte sie etwas, was Lou von den Füßen gehauen hätte. So aber lag er schon auf dem Boden und konnte nicht mehr fallen. »Ich habe ihn schon früher so genannt. Er war mein Goldie. Stell dir vor. Das war noch vor der Ehe…«
Die Worte brannten sich in Lous Kopf fest. Er war nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen. Bisher war schon mal eine Welt für ihn zusammengebrochen. Nun passierte dies ein zweites Mal. Das konnte er nicht nachvollziehen. Das war völlig daneben. Er ging davon aus, dass seine Nachbarin an einer Gehirnkrankheit litt.
»Wieso vor der Ehe?«
»Jock und ich haben später dann geheiratet.«
Ein Schnappen nach Luft. »Ähm… Jock und du?«
Sie nickte.
»Ihr seid ein Paar gewesen?«
Sie nickte wieder.
Fast hätte er geschrien. Was er da gehört hatte, war unglaublich gewesen.
»Verheiratet?«
»Genau.«
»Und heute?«
»Sind wir das auch noch. Für viele bin ich die Witwe. Aber das stimmt nicht ganz. Ich habe meinen Mann immer in der Nähe, auch wenn er nicht bei mir ist.«
»Ver… verstehe«, flüsterte er. »Das ist der reine Wahnsinn! Das ist völlig verrückt! Er liegt normalerweise auf dem Friedhof. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Und dann kommt er zu dir?«
»Ja. Immer in der Nacht. Immer dann, wenn ich es will. So ist es auch heute. Er verlässt seinen Platz, um bei mir zu sein, und hin und wieder muss ich auch für Nahrung sorgen.«
Lou Kersher wollte es nicht glauben, aber die Tatsachen sprachen dafür, daran gab es nichts zu rütteln.
So etwas war einfach grauenhaft. Da fehlte jede Logik. Lou glaubte, dass sich der Boden unter ihm öffnen würde, damit ihn ein Schacht verschlucken konnte, der ihn direkt wieder zurück in die Wirklichkeit führte. Diesen Schacht gab es leider nicht, und die Wirklichkeit war genau das, was er sah und nichts anderes.
Noch immer fühlte er sich wie betäubt. Er sah nur Edna Wilson, die keine Witwe war. Dann schaute er zu, wie sie sich aufrichtete.
Sie tat es sehr langsam, und er hatte das Gefühl, dass sie reagierte wie eine Schauspielerin, die sich besonders in Szene setzen wollte.
Aufrecht blieb sie vor ihm stehen und veränderte ihre Position nicht. Mit einem widerlichen, satten und auch zufriedenen Blick schaute sie nach unten, wobei sie erst jetzt ihre Hände vom Rücken wegnahm und sie präsentierte.
Sie hielt etwas fest.
Er schaute hin.
Beinahe hätte Lou Kersher noch über den Gegenstand gelacht, bis ihm einfiel, dass man eine Vase ja auch für etwas anderes benutzen konnte, als nur Blumen hineinzustellen. Besonders dann, wenn sie sehr schwer war wie in diesem Fall.
Sein Verdacht wurde zur Gewissheit, als er sah, wie sie die Vase in die Höhe hievte.
Dabei lachte sie. Nur kurz. Dann erklärte sie ihm das, was er schon befürchtet hatte.
»Und damit, mein lieber Nachbar, werde ich dich erschlagen, denn Goldie mag nur Tote…«
***
Ich wanderte über den nachtdunklen Friedhof und kam mir irgendwie verloren vor. Da passte eigentlich nichts. Nur die Umgebung natürlich. Aber was ich suchte, bekam ich nicht mehr zu Gesicht.
Okay, einen Ghoul hatte ich erledigt. Aber wo steckten der zweite und der dritte?
Ich kannte alte Friedhöfe mit diesen verfluchten Leichenfressern.
Oft genug hatten sie das Gelände unterhöhlt durch Gänge,
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