134 - Geister im Grand Hotel
Namen«, bat sie.
Sie wollte endlich wissen, woran sie war, was
hier vorging. Egal, ob sie jemals Gelegenheit hatte davon zu berichten oder in
die Zeit zurückzukehren, in die sie gehörte. Diese Begegnung mit den Geistern
einer anderen Zeit hatte ihr Denken in eine völlig neue Richtung gedrängt.
»H-e-n-r-i-e-t-t...« kam es kaum hörbar über
die ausgetrockneten Lippen.
»Ich würde dir gern etwas zu trinken geben,
Henriett...« Angie Roith blickte sich um. Nirgends stand ein Kübel mit Wasser.
Es gab nicht mal die Möglichkeit, ein Tuch mit kaltem Wasser zu tränken und die
damit die Stirn der jungen Frau zu kühlen.
»Was ist es für ein Fluch ?« hakte die Managerin nach.
Sie starrte auf ihre eigenen zerschundenen
Hände, an denen noch Reste der Schnur hingen, mit der sie an den Pfahl gebunden
war. Die Fasern waren durchgerissen, als hätte jemand mit brutaler Gewalt ihre
Befreiung herbeigeführt und den Auspeitscher und den schwarzgekleideten
Henkersknecht in die Flucht gejagt.
»Sie waren Brüder ... und wurden zu
erbitterten Feinden... Roland von Aspergen und sein Bruder Carlos ... Der
erstere wollte den Besitz für sich allein. Sein Bruder machte ihm diesen
streitig ... Es wäre Platz für beide gewesen ..., aber der eine gönnte dem
anderen ... den Besitz nicht .. . Jeder suchte einen
Weg, den anderen auszubooten und zu vernichten ... Carlos von Aspergen suchte
die Verbindung zu einem Zauberer, der Krankheiten und Tod schicken konnte. Als
Roland davon erfuhr, suchte er seinerseits Kontakt zu einem Hexer. Die beiden
gegeneinander gerichteten, negativen Kräfte hoben sich auf... Über der Burg
aber braute sich durch diese Aktivitäten eine schwarzmagische Sphäre auf, die
den Geist beider verwirrte ... Und alle, die in der Burg verkehrten oder darin
wohnten, wurden in irgendeiner Weise dadurch mit beeinflußt und gerieten in den
Fluch, der sie auf Gedeih und Verderb miteinander verband und - noch immer
verbindet.
Wir sind dazu verflucht, bis zum Ende der
Zeiten zu spuken ... als Geister zu existieren und die Qual der Lebenden durch
die höllische Strafe, die uns mit auferlegt wurde, zu erleiden
.. Carlos von Aspergen verkörperte in besonderem Maß die Kräfte der
Hölle. Er schloß sich den aufständischen Bauern an, die eines Tages die Burg
stürmten, und es kam zu einem erbitterten Kampf. Die Bewohner der Burg wurden
niedergemetzelt. Auch Roland von Aspergen starb durch eine Hinterlist. Aber
nach seinem Tod gab er noch immer keine Ruhe.
Roland von Aspergen war als mutiger Kämpfer
und hervorragender Reiter bekannt. Die Lanze war die Waffe, die ihm den Ruf des
Unschlagbaren eingetragen hatte.
Roland von Aspergen hatte seine Seele
verkauft.
Der Hexer, mit dem er paktierte, hatte ihm
zugesichert, daß er nach dem Tod seinen ärgsten Feind und dessen Helfershelfer
endgültig schlagen werde. Und wenn es auf Kosten der Burg gehe.
„Daran“, soll Roland von Aspergen gesagt
haben, „liegt mir dann auch nichts mehr. Wenn ich sie nicht besitzen kann - soll
er es erst recht nicht. . .“
Er kehrte als rächender Mörder aus dem
Jenseits zurück. In einer Nacht tötete er allein alle, die an dem Aufstand
beteiligt waren. Er kam auf seinem Lieblingspferd und richtete mit der Lanze
jeden, der sich ihm in den Weg stellte ... Verflucht sind die beiden Brüder,
deren Verfehlungen bis übers Grab hinausreichen und in deren Wirkungskreis
Unschuldige gerieten .«
Die Stimme der Erzählerin war immer leiser
und schwächer geworden.
Angie Roith hatte sich tief dem Mund der
Blonden entgegengebeugt, um jedes noch so leise Wispern zu verstehen.
»Ein Fluch«, antwortete nun die Managerin,
»ist nie für alle Ewigkeiten wirksam. In jeder Kraft steckt eine Gegenkraft .«
»Diese Kraft... ist in denen, die Roland von
Aspergen hinterlassen hat... und in deren Adern sein Blut noch heute fließt.
Nur zu zweit könne sie die dunkle Macht besiegen, die uns alle in Bann schlägt
und unsere Seelen nicht zur Ruhe kommen läßt...
Verschwunden ist die Burg, wie von Roland von
Aspergens Hexer prophezeit, in der Sekunde, als Carlos von Aspergen sein Leben
aushauchte...
Aber Carlos von Aspergens Magier war
ebenfalls nicht untätig und hat eine hinterlistige Falle eingebaut... Die Burg
kann wiederkommen, wenn die Zeit reift... Und sie ist wiedergekommen...«
In Angie Roiths Kopf schwirrten die Gedanken
durcheinander.
Sie konnte nicht alles fassen, was sie zu
hören kriegte.
Aber ihre Neugier war geweckt, und selbst
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