1343 - Manons Feuerhölle
irgendwie richtig für eine Person wie Manon Lacre.
Richtig?
Es war nicht der exakte Begriff. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen, und ich musste vor allen Dingen die Verbindung zwischen den beiden finden.
In der Gegenwart erlebte ich sie mit den eigenen Augen. Ihren Ursprung jedoch musste sie in der Vergangenheit haben. Manon jetzt darauf anzusprechen, wäre der falsche Zeitpunkt gewesen, denn sie gab sich voll und ganz dem Kontakt mit einem Wesen hin, das nicht zu sehen war und nur sein Zeichen gesetzt hatte.
Die Spitze des Zeigefingers lag noch immer auf dem unteren Rand meines Kreuzes. Der Frau tat es gut, diese Verbindung zu haben. Ihr Gesicht hatte einen entrückten Ausdruck angenommen.
Körperlich saß sie vor mir, aber mit ihren Gedanken musste sie einfach ganz woanders sein. Hineingedrungen in eine Vergangenheit, die sie erlebt hatte und die jetzt so tief in ihr saß, dass sie die Gegenwart überdeckte.
Manon hatte von sich als Hexe gesprochen. Das war früher gewesen. Es lag Jahrhunderte zurück. So lange konnte kein Mensch leben. Sie aber existierte. Sie konnte sich daran erinnern, was einmal gewesen war, und so kam mir der Begriff der Wiedergeburt in den Sinn. Eine andere Erklärung für dieses Phänomen hatte ich einfach nicht. Bei ihr kamen zwei Zeitströme zusammen, und wahrscheinlich wurde die Erinnerung durch den Kontakt mit dem Kreuz noch verstärkt.
Jetzt baute sich die Frage auf, wie ich diese Person einschätzen sollte. Stand sie auf meiner Seite oder verhielt sie sich einfach nur neutral?
Die Fragen konnte nur Manon beantworten. Doch sie hielt sich zurück und ergab sich dem Kontakt.
Das U glühte auf und verbreitete keinerlei Hitze, sodass Manon Schmerzen gespürt hätte. Trotzdem war sie innerlich aufgewühlt.
Sie stöhnte leise, bewegte ihre Lippen und flüsterte etwas, das ich nicht verstand, weil es einfach zu leise war.
Auch mit mir hatte das Kreuz seinen Kontakt aufgebaut. Schließlich lag es weiterhin auf meiner Hand. Aber ich spürte nichts. Nicht mal einen Wärmestoß. Es gab nur die Verbindung zwischen den beiden, wobei nur eine Person sichtbar war.
Ich wollte das Schweigen brechen, aber Manon stemmte sich dagegen. Sie begann zu reden. Nur meinte sie nicht mich, sondern eine Person, die ich nicht sah und die wahrscheinlich nur in ihrem eigenen Kosmos auftauchte.
»Ich spüre dich. Du bist so nahe. Du bist mir schon immer nahe gewesen. Aber jetzt merke ich dich besonders nah bei mir. Ich… ich… weiß jetzt, dass du auch damals bei mir gewesen bist. In meinem anderen Leben. Da habe ich dich gesehen, glaube ich. Du bist im Feuer erschienen. Ich habe dich als Schattengestalt erkannt. Du hast mich nicht vom Feuer fressen lassen, du hast mir die Kraft gegeben. Nein, ich bin nicht richtig verbrannt, das weiß ich. Ich bin … ich … sehe das Feuer wieder. Aber es steckte in mir. Du hast mich gerettet, nur du …«
Ich lauschte gespannt. Gern hätte ich gewusst, was sich tatsächlich in der Vergangenheit abgespielt hatte, doch sie kam nicht mehr darauf zu sprechen.
Für mich sehr plötzlich zog sie ihre Hand wieder zurück und schrak dabei sogar leicht zusammen.
Ich schaute auf das U.
Die Röte war noch vorhanden, aber sie verlor allmählich ihre Intensität. Die feurige Farbe zog sich zurück, sodass mein Kreuz sehr bald wieder normal aussah.
Auch Manon schaute hin. Blicklos. Sie hielt den Kopf leicht gesenkt. Eine Reaktion erlebte ich bei ihr nicht. Sie hockte auf dem Beifahrersitz in Gedanken verloren, bestimmt überschwemmt von den Erinnerungen, die sich mit dem beschäftigten, was sie erlebt hatte.
Aber was hatte sie erlebt?
»Manon.« Ich hatte leise gesprochen, um sie nicht zu erschrecken.
»Was ist mit Ihnen, Manon?«
Sie blickte mir ins Gesicht. Es dauerte, bis sie sich zu einer ersten Antwort durchgerungen hatte. Dann sagte sie: »Er war da. Ich weiß es. Er war bei mir.«
»Von wem sprichst du?«
»Von meinem Schutzengel. Ja, er ist mein Schutzengel. Ich weiß es jetzt. Daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Er ist mein Schutzengel gewesen. Ein mächtiger Geist, ein wunderbares Wesen, das aus einer anderen Welt gekommen ist. Er beherrscht das Feuer. Er hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin.«
»Und wer bist du?«
Ihr Blick bekam einen verklärten Ausdruck, als sie sagte: »Ich bin ein Stück von ihm. Ja, jetzt weiß ich es. Ein Stück von ihm. Er hat mich geholt. Er hat mir das Feuer gegeben, aber er passt zugleich auf mich auf. Er ist
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